„Wir haben unsere eigenen jüdischen und arabischen Trumps"

November 2016

1. November 2016. Im Interview gibt uns Richard von Weizsäcker Fellow Mohammad Darawshe Einblicke in seine Arbeit bei Givat Haviva in Israel, lässt sein Fellowship Revue passieren und evaluiert den während seines Fellowships organisierten Workshop zu „Shared Societies“.

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Mohammad Darawshe - Sie sind Direktor des Programms „Shared Society“ von Givat Haviva in Israel – was teilen Sie in diesem Programm, dass Sie in der israelischen Gesellschaft nicht teilen können?

Das ist vor allem Gleichberechtigung. Das Konzept der „Shared Society“ umfasst: 1. das Zusammenleben und gute Beziehungen, 2.  Gleichberechtigung und 3. Partnerschaft und gemeinsame Entscheidungsfindung. Das bedeutet, dass man eine Perspektive über Zukunftsvision dieser Gesellschaft entwickelt. Wir leben noch immer in einer sehr gespaltenen Gesellschaft, haben getrennte Bildungssysteme, werden finanziell unterschiedlich von der israelischen Regierung ausgestattet. Als Resultat gibt es hohe Armuts- und Kriminalitätsraten in der arabischen Community. Das alles entsteht nicht zufällig, sondern als Resultat einer Politik, die keine „Shared Society“ anstrebt.  

Wenn Sie sagen „es gibt in Israel keine Gleichberechtigung“ - bedeutet das dann, dass Ihr „Shared Society“-Programm so eine Art Insel ist, in der auf lokaler Ebene die an dem Programm teilnehmenden Dörfer und Städte ganz anders miteinander umgehen als der Rest der Gesellschaft?

Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Das Bildungssystem ist geteilt. Juden und Araber besuchen unterschiedliche Schulen. Daher versuchen wir, eine Integration über die Lehrer zu erreichen. Wir haben jetzt bereits 400 arabische Lehrer in jüdischen Schulen untergebracht und 57 jüdische Lehrer in arabischen Schulen. Das verändert die gesellschaftliche Realität. Es reduziert die Ängste. Man beginnt, den anderen als Mensch wahrzunehmen und dann stellen sich Vertrauen und wechselseitige Interessen ein, auf denen man aufbauen kann.

Das ist unser Markenzeichen: Seit Givat Haviva 1963 das jüdisch-arabische Friedenszentrum gegründet hat, bringen wir jährlich rund 10.000 Kinder zusammen, damit sie ihren „ersten Juden“ und ihren „ersten Araber“ kennenlernen. Gleichzeitig denken wir aber auch, dass das nicht die Aufgabe von Givat Haviva allein sein sollte. Das ist die Aufgabe der Regierung und sollte die Art und Weise sein, wie sich die Gesellschaft begegnet.

Das hört sich an als würden Sie Ihre Politiker erziehen wollen. Warum funktioniert politische Führung in Israel nicht?

Politische Führung in Israel ist sehr nationalistisch – sowohl die jüdische als auch arabische. Israel definiert sich als der Staat des jüdischen Volkes und in Folge halten die meisten jüdischen Politiker arabische Mitbürger nicht  für legitime Staatsbürger. Sie wollen im Dienst der jüdischen, nicht der israelischen Staatsbürger stehen. Das genau wollen wir ändern. Wir möchten, dass Israel sich israelisch verhält, nicht jüdisch. Sich jüdisch verhalten, heißt 80 Prozent der Bevölkerung zu vertreten. Sich israelisch zu verhalten, bedeutet 100 Prozent der Staatsbürger zu vertreten. Das ganze System basiert nicht auf Bürgerrechten sondern nationalen Rechten - das ist ein Handicap für die Gesellschaft und ich würde sagen auch ein Handicap für die Mehrheit der israelischen Politiker.

Sie vertrauen bei Ihrer Arbeit anscheinend ganz auf die Vernunftbegabung. Sie setzen auf Willen, Sie setzen auf die politische Struktur. Aber wenn sie auf Charaktere schauen die gerade am politischen Horizont auftauchen, wie Donald Trump zum Beispiel, dann scheinen diese nicht mit Argumenten von einer guten Sache zu überzeugen sein.

Ich persönlich glaube ganz fest an den Frieden, an gute Beziehungen zwischen Menschen, an die Menschlichkeit. Aber ich habe auch gelernt, dass dieses Modell nicht gut genug ist für den „Markt“. Die Mehrheit der Leute, die in diesem Sektor eine Rolle spielen, haben ein Eigeninteresse. Das heißt „Wirtschaft“ oder „Sicherheit“. Die meisten Menschen in Israel wollen Demokratie nicht um der Demokratie Willen, sondern weil sie von aller Welt als Demokratie gesehen werden wollen.

Also stimmen unsere Motive nicht überein. Aber immerhin haben wir ein gemeinsames Interesse. Das gleiche gilt für die Sicherheit. Eine „Shared Society“ ist eine sicherere Gesellschaft. Auch das ist nicht mein Motiv. Aber selbst der Chef des Shabak, des israelischen Inlandsgeheimdienstes, sagt, dass wir Rassismus, die Polarisierung und die Spaltung der Gesellschaft bekämpfen müssen – ebenso wie die Diskriminierung. Wir haben unterschiedliche Motive, aber beim Endresultat sind wir uns einig. 

Sie haben Donald Trump erwähnt. Das ist das Extrembeispiel eines Opportunisten. Und wir haben unsere eigenen Trumps – jüdische und arabische….

Was gibt Ihnen Kraft für diese aufreibende Arbeit, immer wieder Brücken zu bauen?

Wir, Givat Haviva, haben gerade ein Fußball-Sommercamp für jüdische und arabische Kinder beendet. Jeder fand es klasse. Auch wir Organisatoren waren zufrieden, weil wir den Kids Methoden zur Konfliktprävention nahe bringen konnten. Sofort wurde sichtbar, dass Vorurteile abnahmen unddas machte sich auch sozial bemerkbar. Saßen sie am ersten Tag noch in ethnischen Gruppen getrennt, mischte sich das schnell und sie saßen beim Essen zusammen. Plötzlich war die jüdische Identität nicht mehr so wichtig, und auch die arabische nicht. Der Team Spirit war entscheidend. Natürlich haben sie erstmal über Taktisches gesprochen. Später ging es dann um Geschwister, was die Eltern machen, wo sie einkaufen – das alles tun ihre Eltern nicht. Und das ist die Art und Weise, wie wir eine andere Realität erschaffen. Kurz um, es sind die Erfolge und die damit einhergehenden Veränderungen die wir bewirken.

Sie haben 8 Monate als Richard von Weizsäcker an der Robert Bosch Academy verbracht. Wie haben Sie die Zeit erlebt?

Meine Zeit als Richard von Weizsäcker Fellow an der Robert Bosch Academy war fantastisch. Durch die tolle Atmosphäre und die professionelle Unterstützung des Academy Teams konnte ich mein Fellowship effektiv nutzen. Während meines Fellowships wollte ich mehr über nationale Minderheiten in Europa lernen. Durch das Fellowship bekam ich die Möglichkeit, führende Wissenschaftler, Praktiker und politische Entscheidungsträger zum Themenfeld zu treffen, umfangreiche Studienreisen zu unternehmen und Zugang zu Informationen zu bekommen, die ich sonst nicht erhalten hätte. Zusätzlich erhielt ich die Möglichkeit, mehr über die aktuellen Herausforderungen Deutschlands zum Umgang mit der Flüchtlingsthematik zu lernen. Es entstanden während meines Fellowships zahlreiche Gespräche mit Regierungsvertretern und kommunalen Führungspersonen, die für beide Seiten von großem Nutzen waren.

Während Ihres Fellowships haben Sie einen Workshop zu Minderheitenfragen in Europa und Israel organisiert. Welche Erkenntnisse hat Ihnen der Workshop für Ihre zukünftige Arbeit gebracht?

Der Workshop zu Minderheitenfragen in Europa und Israel, den ich an der Robert Bosch Academy organisiert habe, brachte wichtige jüdische und arabische Praktiker aus Israel und europäische Spezialisten zu dem Thema an einen Tisch. Das Format war sehr erfolgreich, da wir praktische Ansätze diskutiert haben und nicht nur die Theorie. Die größte Erkenntnis, die ich aus dem Workshop gezogen habe, war die Unterscheidung zwischen horizontalen strukturellen und verfassungsrechtlichen Änderungen, die notwendig sind um nationale Minderheiten klar zu positionieren, und den vertikalen Erfolgen in sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bereichen. Das Paradox der hierarchischen Einteilung von Status nationaler Minderheiten war ein zentrales Thema des Workshops. Zum Ende meines Fellowships wurde ich zur Konferenz des Europarates zur Rahmenkonvention für den Schutz von nationalen Minderheiten eingeladen, wo ich an den Treffen des Beirats teilnahm und hunderte Experten aus dem Bereich traf. Somit konnte ich mein Netzwerk erheblich erweitern. 

Das Interview wurde geführt von Ute Hempelmann 

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