Richard von Weizsäcker Forum 2022
Das diesjährige Richard von Weizsäcker Forum führte ehemalige, aktuelle und zukünftige Fellows der Robert Bosch Academy auf eine Studienreise über die globale Klimakrise und Deutschlands Energiewende in die Bayerischen Alpen und nach Berlin.
Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat eine globale Krise ausgelöst. Europa sieht sich mit sicherheitspolitischen Herausforderungen konfrontiert, in weiten Teilen Afrikas herrschen Hungersnöte und nicht nur Deutschland kämpft im nahenden Winter mit einer schweren Energiekrise. Obwohl der Ausbau der erneuerbaren Energien in hohem Tempo vorangetrieben wird, ist der Kampf gegen den Klimawandel in den Hintergrund getreten – trotz der zerstörerischen Auswirkungen der Erderwärmung im Jahr 2022. Das diesjährige Richard von Weizsäcker Forum widmete sich daher den Themen Klimawandel und Klimaschutz und beleuchtete sie aus verschiedenen Perspektiven. Vom 10. bis 14. Oktober nahmen 45 ehemalige, aktuelle und zukünftige Fellows der Robert Bosch Academy an einer Studienreise in die Bayerischen Alpen und nach Berlin teil.
Die Reise führte in den süddeutschen Alpenraum, wo die Auswirkungen des Klimawandels und der Erderwärmung besonders deutlich zu spüren sind. Die Fellows tauschten sich mit Wissenschaftler:innen, Aktivist:innen und politischen Entscheidungsträger:innen über Themen im Zusammenhang mit der Klimakrise, deren Auswirkungen und Handhabung in Deutschland aus. Am letzten Tag fand eine Diskussion mit Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey und der deutschen Umweltministerin Steffi Lemke statt.
Die Alpen: Wo man die negativen Folgen des Klimawandels beobachten kann
Die Bayerischen Alpen sind eine der Regionen in Europa, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind. Meteorologische Daten zeigen, dass die Durchschnittstemperatur dort seit dem 19. Jahrhundert um zwei Grad Celsius gestiegen ist, fast doppelt so stark wie im weltweiten Durchschnitt. Die Alpen werden grüner, die Vegetation blüht früher im Jahr und Bäume wachsen an Orten, die früher mit Schnee bedeckt waren. In der ersten Sitzung des Tages betonte Michael Rapp, stellvertretender Landrat von Garmisch-Partenkirchen, die Veränderungen der bayerischen Lebensgrundlagen aufgrund extremer Wetterbedingungen, höherer Lebenshaltungskosten und Veränderungen in der Tourismusbranche, der Haupteinnahmequelle der Region. Die Region hat eigene Ziele zur Klimaneutralität definiert und setzt sich für ein klimaeffizientes Wohnungs- und Mobilitätsmanagement ein.
Michael Rapp: „Jede Region in Deutschland hat einen anderen Energiebedarf und Zugang zu unterschiedlichen Rohstoffquellen, die sie für eine zukunftsfähige Energiewende nutzen kann. Wir brauchen mehr Unterstützung von der Bundesregierung, um die Infrastruktur entsprechend der lokalen Ressourcenverfügbarkeit auszubauen und die Energiewende für die Bürgerinnen und Bürger bezahlbar zu machen.“
Das Schmelzen der Gletscher und die Veränderung der Landschaft treffen die Tourismusbranche hart, betonten die bayerischen Politiker:innen. Die Landesregierung in München ist sich dieser Herausforderung bewusst und fördert gesunde und nachhaltige Formen des Tourismus, um die Natur, aber auch die Lebensgrundlagen der Einwohner zu schützen. Dr. Ulrike Wolf, Ministerialdirektorin im Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie erklärte, dass die Landesregierung in digitale Innovationen, um den Massentourismus zu begrenzen, sowie in E-Mobilität und die Sanierung von Seilbahnen investiert.
Dr. Ulrike Wolf: „Die Tourismusindustrie muss sich wie jede andere Branche auch auf eine klimafreundlichere Arbeitsweise einstellen, insbesondere angesichts der Tatsache, dass der Tourismus in hohem Maße von intakten Ökosystemen abhängig ist und viele touristische Attraktionen in ökologisch sensiblen Gebieten liegen. Die Branche muss sich der komplizierten Herausforderung stellen, kosteneffiziente Lösungen anzubieten und gleichzeitig sicherzustellen, dass diese Gebiete intakt bleiben.“
Nach einem kurzen Besuch auf der Zugspitze, dem höchsten Berg Deutschlands, begab sich die Gruppe auf das Feld der Wissenschaft. Welche Rolle spielt die Wissenschaft in der internationalen Klimapolitik? Ist die Wissenschaft eine ungehörte Stimme? Prof. Dr. Hans Peter Schmid ist Direktor des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung am Karlsruher Institut für Technologie, einer der deutschen Spitzenforschungseinrichtungen. In seinem Vortrag beschrieb er das Dilemma zwischen langfristigen Entwicklungen und kurzfristigen Interessen. Die Fellows stellten Fragen zur Rolle von Wissenschaftler:innen und Journalist:innen in der Klimakrise, zu wirtschaftlichen Interessen, zur Zivilgesellschaft und zur globalen Zusammenarbeit in der Klimaforschung.
Prof. Dr. Hans Peter Schmid: „Der Wissenstransfer aus unserer Forschung in alle Bereiche der Öffentlichkeit ist Teil unserer Aufgabe. In vielen Fällen stoßen unsere wissenschaftlich fundierten Empfehlungen für den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel auf großes Interesse. Damit ist es aber meist auch schon getan. Es ist nach wie vor schwierig, politische Entscheidungsträger und die Zivilgesellschaft von der Dringlichkeit von Klimaschutzmaßnahmen zu überzeugen, selbst angesichts der dramatischen Beweise für die Auswirkungen der Klimaerwärmung jetzt und in Zukunft.“
Der dritte Tag führte die Gruppe zu einem Solarpark zwischen Garmisch-Partenkirchen und München. Der Park besteht aus 13.000 Solarpaneelen und versorgt mehr als 3.500 Menschen in der Region mit erneuerbarer Energie. Stephan Jocher, der Architekt des Parks, sprach mit den Fellows über die Hindernisse, eine Baugenehmigung vom bayerischen Staat zu erhalten und den Bau des Parks.
Stephan Jocher: „Es war ein langer und anstrengender Prozess, diesen Solarpark zu bauen und die Menschen und Politiker:innen von seinen Vorteilen zu überzeugen. In Zukunft müssen wir verschiedene Wege der Energieerzeugung finden – wie Solarenergie, Wasserstoff als Energieträger und nachwachsende Energieträger finden, anstatt uns auf eine einzige Quelle zu verlassen, um die Energiesicherheit zu gewährleisten. Je eher die staatlichen Stellen dies verstehen und den Prozess erleichtern, desto besser wird es sein.“
Die nächste Station war die bayerische Landeshauptstadt München, wo die Gruppe die Gelegenheit hatte, mit Filiz Albrecht, Geschäftsführerin und Arbeitsdirektorin der Robert Bosch GmbH, über den Beitrag deutscher Unternehmen zur Klimaneutralität zu sprechen. Die Robert Bosch GmbH will die Umweltauswirkungen ihrer Aktivitäten so gering wie möglich halten. Der Fokus liegt auf konsequentem Klimaschutz, sparsamem Umgang mit Wasser und dem Aufbau einer verlässlichen Kreislaufwirtschaft.
Filiz Albrecht: „Bosch ist seit 2020 weltweit klimaneutral – als erstes globales Industrieunternehmen. So sehr wir uns über das Erreichen dieses Ziels gefreut haben, sehen wir darin nicht das Ende unserer Bemühungen. Klimaschutz ist nur eine Facette der Nachhaltigkeit. Unter dem Begriff Nachhaltigkeit verstehen wir bei Bosch auch den sparsamen Umgang mit Ressourcen wie Energie und Wasser an unseren Standorten und die Erforschung neuer Technologien. Nachhaltigkeit ist kein „nice to have“-Thema, sondern zur Kernaufgabe unseres Handelns geworden. Und wir wollen, dass auch andere Unternehmen unserem Beispiel.“
Neben der Privatwirtschaft und dem Staat spielt auch die Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle beim Klimaschutz. An der Podiumsdiskussion mit dem Titel „Engaging Civil Society in Climate Change Mitigation“ nahmen Klara Bosch (Sprecherin, Fridays for Future, München), Helena Geissler (Sprecherin, Münchner Nachhaltigkeitsinitiative) und der CSU-Politiker Manuel Pretzl vom Münchener Stadtrat teil.
Helena Geissler: „Es ist oft schwierig, verschiedene zivilgesellschaftliche Akteure hinter spezifischen politischen Forderungen zum Klimawandel und zur Nachhaltigkeit zu vereinen. Es ist ein Erfolg, dass wir als Münchner Nachhaltigkeitsinitiative eine so starke Unterstützung erhalten haben und dass sich so viele zivilgesellschaftliche Akteure aktiv an unserer Initiative beteiligen. Diese Unterstützung zeigt auch den lokalen Politikern, dass diese Themen für die Zivilgesellschaft sehr wichtig sind, und fordert die Politiker auf, Veränderungen in Angriff zu nehmen.“
Klara Bosch: „Ich bin mir bewusst, dass ich keine Politikerin oder demokratisch gewählte Vertreterin bin und kein Recht habe, Dinge zu entscheiden oder schnell zu ändern. Mit meiner Arbeit bei Fridays for Future möchte ich aber zeigen, dass man auch als Mitglied der Zivilgesellschaft mitentscheiden und etwas verändern kann.“
Deutschlands politisches Handeln in der Klimakrise
Zurück in Berlin wurden die Fellows von Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey begrüßt. Die Stadt ist Teil der C40-Initiative, einem globalen Netzwerk von Städten, die gemeinsam an der Eindämmung der Klimakrise arbeiten. Frau Giffey erläuterte die aktuellen Pläne der Stadt zur Klimaneutralität, wie etwa die Reduzierung der CO2-Emissionen um 70 Prozent bis 2030 und Investitionen in erneuerbare Energien. Um diese Ziele zu erreichen, wird die Zivilgesellschaft auf vielfältige Weise eingebunden, unter anderem im von der Stadt finanzierten Bürgerklimarat.
Franziska Giffey: „Wenn wir über Klimamaßnahmen sprechen, müssen wir die Diskussion im Rahmen des sozialen Zusammenhalts und der wirtschaftlichen Entwicklung sehen. Wir müssen für eine gute Infrastruktur und Alternativen sorgen, wie zum Beispiel bezahlbare öffentliche Verkehrsmittel und Ladestationen für Elektroautos.“
Anschließend besuchten die Fellows das neue Humboldt-Forum. Die Expert:innen des Museums erläuterten die politische Bedeutung des Ortes und den Umgang des Humboldt-Forums mit seiner Vergangenheit, also dem Erbe des Kolonialismus in Afrika.
Nach dem Mittagessen diskutierten die Fellows über eine gerechte Energiewende mit Inputs von Expert:innen aus der Fellow-Community. Auf dem Podium diskutierten Samantha Gross, Direktorin der Energy Security and Climate Initiative bei Brookings, Michał Kurtyka, ehemaliger Klima- und Umweltminister Polens und Kumi Naidoo, Menschenrechts- und Umweltaktivist. Zu welchem Schluss kamen sie, nachdem sie sich mit von deutschen Politiker:innen, Wissenschaftler:innen und der Zivilgesellschaft ausgetauscht hatten?
Michał Kurtyka: „Wir machen uns etwas vor, wenn wir glauben, dass die COP-Klimakonferenzen das Problem des Klimawandels lösen werden. Je eher wir das begreifen und über einen anderen Ansatz nachdenken, bei dem die Industrie, die Banken und die Zivilgesellschaft mit am Tisch sitzen, desto besser ist es.“
Samantha Gross: „Die Welt wird das Problem des Klimawandels nicht lösen, indem sie davon ausgeht, dass weniger Energieverbrauch der Weg der Zukunft ist. Dieser Ansatz wird nur zu einem ungerechten, ungleichen Transformationsprozess führen. Wir müssen Wege finden, um die Energiewende gerecht zu gestalten.“
Kumi Naidoo: „Die Klimakrise ist eine Folge des drastischen Versagens unserer demokratischen Finanz- und Regierungssysteme, die den unkontrollierten Überkonsum so lange unterstützt haben. Regierungen und Unternehmen müssen einen grundlegenden Wandel vollziehen, damit der Klimawandel erträglich und gerecht wird.“
Auf dem letzten Panel des Tages sprach die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, Steffi Lemke, über die Bedeutung des Schutzes der biologischen Vielfalt in Zeiten des Klimawandels. Sie skizzierte auch die Pläne der Bundesregierung im Umgang mit dem Klimanotstand und betonte die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit.
Steffi Lemke: „Mein Ziel ist es, jetzt dafür zu sorgen, dass wir in Zukunft weiter gut leben können – auch unter den Bedingungen der Klimakrise. Dafür setze ich auf natürlichen Klimaschutz, und dafür setze ich auf eine umfassende und vorsorgende Anpassungspolitik, die alle Akteure einbezieht und vernetzt.“
Die Studienreise ging mit einem Abschiedsessen in der Robert Bosch Stiftung in Berlin zu Ende. Henry Alt-Haaker, Bereichsleiter für Strategische Partnerschaften und die Robert Bosch Academy, fasste die Studienreise zusammen: „Das diesjährige Forum hat uns gezeigt, wo Deutschland in Sachen Klimaschutz steht. Der Austausch mit einer Vielzahl von Akteur:innen über die nachhaltige Energiewende und darüber, wie wir über den Klimanotstand sprechen, führte zu intensiven Diskussionen über neue Wege und Allianzen im Kampf gegen die globale Klimakrise. Das Forum hat auch deutlich gemacht, was der Rest der Welt von Deutschland erwartet. Die Klimakrise ist eine dringende globale Herausforderung, die internationale Zusammenarbeit erfordert. Die Robert Bosch Academy ist stolz darauf, dazu beizutragen, internationale politische Entscheidungsträger:innen und Vordenker:innen zusammenzubringen, um Lösungen zu entwerfen und Wege zu deren Umsetzung zu finden.“
Das Richard von Weizsäcker Forum ist die wichtigste Veranstaltung der Robert Bosch Academy und bringt jedes Jahr ehemalige, heutige und zukünftige Fellows zusammen. Das Forum wurde zu Ehren von Richard von Weizsäcker, Altbundespräsident und langjähriges Mitglied des Kuratoriums der Robert Bosch Stiftung, ins Leben gerufen.