Das Dilemma von Mediator:innen in bewaffneten Konflikten
Die Terrorismusbekämpfung und die internationale Strafgerichtsbarkeit haben die Rahmenbedingungen für Mediator:innen in bewaffneten Konflikten verändert, indem sie die „Bösen“ systematisch vom Verhandlungstisch ausschließen. Das erschwert die Beendigung von Kriegen.
Von Pierre Hazan
Seit dem Ende des Kalten Krieges ist die Mediation in bewaffneten Konflikten zu einem fast automatisierten Prozess der Konfliktlösung geworden. Doch die Mediation steht bei der Beendigung von Konflikten vor einem unlösbaren Dilemma: Sie ist hin- und hergerissen zwischen der Notwendigkeit, alle einzubeziehen und gleichzeitig Kriegsverbrecher:innen und terroristische Organisationen auszuschließen. Dies macht die Beendigung von Konflikten – auch in der Ukraine – zu einer immer größeren Herausforderung.
Die Entwicklung der Mediation vollzog sich im breiteren Kontext der Pax Americana nach dem Fall der Berliner Mauer 1989, einer Periode relativen Friedens und relativer Stabilität unter amerikanischem Einfluss, und führte zum Friedensparadigma liberaler Gesellschaften. Frieden bedeutete nicht mehr nur die Einstellung der Feindseligkeiten, sondern aus westlicher Sicht auch die Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit, repräsentativer Demokratie, freier Marktwirtschaft und Entwicklung. Für Verfechter:innen dieses Paradigmas setzte Frieden die Mitwirkung der Zivilgesellschaft und der NGOs voraus, wodurch die Idee eines integrativen, mehrgleisigen Ansatzes zur Konfliktlösung gestärkt wurde.
Gleichzeitig führte der Kampf der westlichen Regierungen gegen die Straflosigkeit von Verletzungen des Völkerrechts in den 1990er Jahren zur Schaffung von hybriden internationalen Strafgerichten. Der revolutionärste Aspekt des Aufbaus eines globalen Rechtssystems war die Fähigkeit der internationalen Gerichte, Täter internationaler Verbrechen in Kriegszeiten zu verfolgen. Daher die Maxime: „Kein Frieden ohne Gerechtigkeit“. Dies führte zu einem tiefgreifenden Gegensatz zwischen den Mediator:innen einerseits und den Ankläger:innen andererseits in ihrem jeweiligen Streben nach Frieden und Gerechtigkeit. Wie kann man einen Führer, dem man am Verhandlungstisch gegenübersitzt, gleichzeitig strafrechtlich verfolgen? Wie wäre zum Beispiel das Friedensabkommen von Dayton im Jahr 1995, das den schrecklichen Krieg in Bosnien und Herzegowina beendete, ohne den serbischen Führer und Architekten des Krieges, Slobodan Milošević, möglich gewesen?
Der „Krieg gegen den Terror“ erschwerte den Job der Mediatoren
Seit dem Attentat vom 11. September 2001 und dem anschließenden „Krieg gegen den Terror“ ist die Arbeit der Mediator:innen noch schwieriger geworden. Europäischen und US-amerikanischen Diplomaten ist es untersagt, mit „terroristischen Organisationen“ zu sprechen, einschließlich der Hamas, die seit den Wahlen von 2006 (die laut EU als fair galten) im Gazastreifen an der Macht ist. „Terrorist:innen“ sollen isoliert, kriminalisiert und strafrechtlich verfolgt werden.
Damit besteht die Gefahr, dass diejenigen, die in einen Dialog mit den „Bösen“ eintreten, selbst strafrechtlich verfolgt werden. Dies wurde durch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA in der Rechtssache Holden v. Humanitarian Law Project (2010) unterstrichen, die jede Drittpartei, auch nichtamerikanische, die einer „terroristischen Organisation … Ausbildung, politische Fürsprache und fachliche Beratung“ anbietet, als illegal und strafbar einstuft. Dies stellte Mediator:innen vor unüberwindbare Herausforderungen. Darüber hinaus differenziert dieser pauschale Anti-Terror-Ansatz nicht innerhalb des „terroristischen“ Umfeldes und geht nicht auf die Gründe ein, warum einige dieser Organisationen einen Teil der Bevölkerung repräsentieren. Das führte noch zu einer Verschärfung der Konflikte in Afghanistan, in der Sahelzone und an anderen Orten und letztlich zum Scheitern.
So entwickelte sich die Pax Americana zu einem ideologischen Diskurs, der Kategorien von Akteuren definiert, die einbezogen werden, und andere, die ausgeschlossen werden. Das Ergebnis ist, dass der „Teufel“, oder diejenigen, die als „Feind der Menschheit“ bezeichnet werden, wie Cicero vor zweitausend Jahren sagte, am Verhandlungstisch nicht mehr akzeptiert werden: ein massives Hindernis für Vermittlende, die versuchen, Kriege zu beenden. Dieses normative System bringt die Mediator:innen in eine Zwickmühle, denn Vermittlende sind notwendigerweise pragmatisch und müssen die Hauptkriegsparteien in die Verhandlungen einbeziehen.
Alles hat seine Zeit – auch Krieg und Frieden
Richard Goldstone, früher Ankläger am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY), erkennt an, dass die Existenz einer internationalen Justiz „ihren Preis hat", da sie Friedensprozesse erschwert. Nach dieser Logik könnten Kriegsverbrechen, die von russischen Streitkräften in der Ukraine begangen wurden, theoretisch zu einer Anklage des Staatschefs, also des russischen Präsidenten Wladimir Putin, durch den Internationalen Strafgerichtshof führen. Dem liegt das Prinzip der Befehlsverantwortung zugrunde, eine Rechtsdoktrin der hierarchischen Verantwortlichkeit für Kriegsverbrechen. Dies birgt jedoch die Gefahr, dass jede Verhandlung verhindert und eine Eskalation des Konflikts provoziert wird. So ein Vorgehen wäre politisch destruktiv, wenn auch normativ konsequent.
So schwer es auch moralisch zu akzeptieren sein mag: Es gibt eine Zeit für Krieg und eine andere für Frieden und Gerechtigkeit. Die Dokumentation von Kriegsverbrechen und die Sammlung von Beweisen während eines Konflikts ist eine Sache. Es ist aber etwas Anderes, zu behaupten, ein Tribunal trage zur Wiederherstellung des Friedens bei. Diese Behauptung ist schlicht nicht wahr. Frieden entsteht durch Verhandlungen oder einen militärischen Sieg, nicht durch die internationale Justiz.
Die westlichen Regierungen und die Vereinten Nationen haben sich zu starre Ausschlussregeln gegeben. Bis zu einem gewissen Grad haben sie den Widerspruch zwischen dem normativen Ansatz der Ausgrenzung und der Notwendigkeit, „terroristische Organisationen“ einzubeziehen, externalisiert, indem sie Friedensprozesse an die private Diplomatie ausgelagert haben. Private Vermittlungsorganisationen können Dialogprozesse leiten, aber sie haben weder die Mittel noch die Legitimität, einen Friedensprozess zu Ende zu führen.
Es ist Zeit, Bilanz zu ziehen
Die Pax Americana verblasst, und das liberale Friedensparadigma hat zu gemischten Ergebnissen geführt. Zwar hat es dazu beigetragen, der Zivilgesellschaft in Friedensprozessen mehr Gehör zu verschaffen. Doch in vielen Ländern Afrikas und des Nahen Ostens sind die Ergebnisse in Bezug auf Demokratie, Marktwirtschaft und Entwicklung noch nicht sichtbar. Auch das liberale Friedensparadigma war weit davon entfernt, „liberal“ und „friedlich“ zu sein. Die Politik des „Regimewechsels“ im Irak und in Libyen hat zu einem ungeregelten Einsatz von Gewalt geführt und die multilaterale Diplomatie geschwächt. Wenn der „wohlwollende Hegemon“ die demokratischen Standards, die er durchsetzen will, nicht einhält, warum sollten dann andere, die sich weit weniger um die Gesetze des Krieges und der Menschenrechte scheren, gemäß diesen Standards und Regeln handeln? Die Kriege in Syrien und jetzt die russische Aggression in der Ukraine mit den wahllosen Bombardierungen der Zivilbevölkerung unter anderem in Aleppo und Mariupol zeigen dies auf tragische Weise.
Die Pax Americana hat dazu beigetragen, ein System der Ausgrenzung aufzubauen, das die Rahmenbedingungen für Mediation verändert hat. Dieser normative und sicherheitspolitische Ansatz erwies sich nicht nur als inkonsequent, sondern trug auch zur Radikalisierung des Gegensatzes zwischen legitimen Akteuren und den Ausgeschlossenen bei. Die aktuellen Erfahrungen in Kolumbien und in der Sahelzone legen nahe, dass lokale Dialoge und Friedensprozesse, die in der sozialen Realität verankert sind, produktiver bei der Verringerung der Gewalt sind.
Pierre Hazan ist Senior Adviser am Centre for Humanitarian Dialogue in Genf und Richard von Weizsäcker Fellow der Robert Bosch Academy.
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