Vorgestellt: Mark Lowcock
Sir Mark Lowcock war von 2021 bis 2024 Senior Fellow am Center for Global Development. Zuvor war er als Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten und Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen tätig. Von 2011 bis 2017 war er Ständiger Sekretär des britischen Ministeriums für internationale Entwicklung (Department for International Development, DFID).
Woran arbeiten Sie als Fellow an der Robert Bosch Academy?
Der Stellenwert der Beziehungen zwischen den Kontinenten Europa und Afrika wird in den kommenden Jahrzehnten wachsen. Das ist die unausweichliche Konsequenz aus nicht veränderbaren Fakten und beobachtbaren Trends: Geografie, Geschichte und Sprache verbinden uns dauerhaft, und soziale, wirtschaftliche und demografische Realitäten verstärken die gegenseitigen Abhängigkeiten immer deutlicher. Doch diese Tatsachen spiegeln sich weder in der Realität des heutigen internationalen Diskurses noch in den Anliegen oder Prioritäten der politischen Entscheidungsträger:innen auf beiden Seiten wider. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen: Auf beiden Seiten stehen andere, drängendere Themen im Vordergrund, und weiterreichende geopolitische Gegebenheiten und innenpolitische Anliegen verdrängen die europäisch-afrikanische Agenda. Hinzu kommt das Gefühl, dass die jüngsten Versuche, Partnerschaften zu stärken, nicht die erhofften Ergebnisse gebracht haben. Das hat zu Enttäuschung und Misstrauen geführt, was wiederum die Bemühungen zur Verwirklichung starker Beziehungen geschwächt hat. Wir wollen herausfinden, was getan werden kann, um Energie und Enthusiasmus zum Nutzen sowohl Europas als auch Afrikas wiederzubeleben.
Was sind die größten Herausforderungen in Ihrem Arbeitsfeld?
Es gibt viele, aber eine große Herausforderung ist die Mobilität der Menschen. Gemeinsam mit Bert Koenders möchte ich den Spielraum für eine bessere Zusammenarbeit in den weit gefassten, aber miteinander verknüpften Politikbereichen Arbeit, Migration und wirtschaftliche Funktionsweise ausloten – von dieser Zusammenarbeit können alle Seiten profitieren. Wir arbeiten noch an der Verfeinerung unseres Forschungsplans, stellen aber fest,
- dass es eine große und wachsende afrikanische Diaspora in Europa und eine bedeutende, wenn auch nicht ganz so große europäische Diaspora in Afrika gibt;
- dass die Bevölkerung Afrikas weiter wächst, wobei Prognosen darauf hindeuten, dass die meisten Kinder, die in diesem Jahrhundert weltweit geboren werden, Afrikaner:innen sein werden, während Europa mit einem Rückgang seiner Bevölkerung konfrontiert ist;
- dass die Schaffung von Arbeitsplätzen im Zentrum des Strebens aller afrikanischen Länder nach einer schnelleren wirtschaftlichen Entwicklung steht, während Europa mit einem Arbeitskräftemangel konfrontiert ist, vor allem im Dienstleistungssektor (z. B. im Gesundheits- und Pflegebereich, im Bildungswesen, im Gaststättengewerbe) und in einigen Handwerkssparten (Klempner:innen, Elektriker:innen, Bauarbeiter:innen);
- dass Asylbewerber:innen und Geflüchtete ein Hauptanliegen der Politik in ganz Europa sind und dass die Bemühungen um eine Zusammenarbeit mit Afrika in diesem Bereich weniger erfolgreich sind, als die europäischen Politiker:innen es sich erhoffen.
Was war die wichtigste Lektion, die Sie in den letzten Jahren im Bereich der internationalen Entwicklung gelernt haben?
Die Dinge können besser werden! In den zwanzig Jahren seit 1995 wurden enorme Fortschritte bei der Verringerung der weltweiten Armut und der Erhöhung der Lebenserwartung in den ärmsten Ländern erzielt. Das kann so weitergehen, wenn die politischen Entscheidungsträger:innen bessere Entscheidungen treffen, als sie es in den vergangenen fünf Jahren getan haben.
Welche neuen Erkenntnisse für Ihre Arbeit erhoffen Sie sich von Ihrem Fellowship?
Es ist ein großes Privileg, Zeit zum Nachdenken und Zuhören zu haben, ohne an einen bestimmten Output oder bestimmte Arbeitsergebnisse gebunden zu sein. Ich hoffe, alle möglichen neuen Dinge von neuen Leuten zu erfahren. Aber was das sein wird, ist eine dieser berühmten Unbekannten!
Welche Relevanz haben Berlin und Deutschland für Ihre Arbeit?
Das umfangreiche Wissen, die Erfahrung und die Expertise. Außerdem die Offenheit für Debatten und das weitverzweigte Netzwerk von Think Tanks und politischen Entscheidungsträger:innen, die an einem konstruktiven Dialog interessiert sind. Was könnte man sich mehr wünschen?
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