Schule nach der Pandemie: Digitalisierung nutzen, um Schüler zu motivieren
Die Pandemie hat Lehrkräfte dazu gezwungen, digitale Tools mehr als je zuvor in den Alltag ihrer Schüler zu integrieren. Mit der Rückkehr des Präsenzunterrichts haben Lehrer die einmalige Chance, die Schulen weiter zu verändern, um digitale Technologien optimal zu nutzen und negative Nebeneffekte der Digitalisierung zu minimieren.
Von Dennis Shirley
Stellen Sie sich Folgendes vor: Sie gucken eine Fernsehserie und einer der Charaktere bekommt eine SMS, deren Text auf einmal auf dem Bildschirm erscheint. Oder denken Sie an eine andere Möglichkeit: Sie lesen einen Roman und der Autor fügt verschiedene Textnachrichten in den Verlauf der Handlung ein.
Etwas Detektivarbeit im Internet ergibt, dass der Trick, eine SMS-Nachricht direkt auf dem Bildschirm zu zeigen, erstmals 2001 in dem japanischen Film „All About Lilly Chou-Chou“ verwendet wurde. Erst mit der BBC-Serie „Sherlock“ im Jahr 2011 wurde diese Technik auch in einer westlichen Serie Teil des ästhetischen Mainstreams. Mittlerweile ist sie omnipräsent. Man sieht sie ständig, wenn man eine populäre TV-Serie sieht, wie zum Beispiel „Ackley Bridge“ in Großbritannien. Und was SMS als Teil eines Romans angeht, findet man sie in jedem Jugendbuch auf der amerikanischen Bestsellerliste, wie zum Beispiel in „The Hate U Give“ von Angie Thomas.
Die Pandemie hat die Nutzung von digitalen Tools in der Bildung beschleunigt
Diese von der Digitalisierung angestoßenen Veränderungen begannen bereits vor Covid-19, aber die Pandemie hat ihre Nutzung beschleunigt. Die Präsenz der neuen Kommunikationsmittel ist in allen Bereichen offensichtlich. Sie ersetzen oft persönliche Treffen und Gespräche. An meiner Universität habe ich jüngst mit Kollegen darüber beraten, ob wir am Fachbereich im Herbst 2021 wieder mit persönlichen Treffen beginnen oder ob wir besser bei Zoom-Meetings bleiben. Nicht einer von ihnen wollte wieder zu persönlichen Treffen zurückkehren.
Warum nicht? Niemand möchte Zeit mit Pendeln verschwenden, wenn wir Zuhause produktiver arbeiten. Darüber hinaus scheinen Zoom-Meetings effektiver als persönliche Besprechungen zu sein. Was wir zuvor in zwei Stunden erreicht haben, schaffen wir jetzt in 90 Minuten oder weniger. Die persönlichen Besprechungen der Lehrenden eines Fachbereichs, die für Jahrzehnte ein unverzichtbarer Teil der Arbeit an der Universität waren, sind Geschichte – vermutlich für immer.
Für Dozenten wie mich, die schon vor der Pandemie auf Online-Lehre umgestellt haben, sind die Vorteile unermesslich. Im Herbstsemester 2020 waren ein Drittel meiner Studierenden chinesischer Nationalität, die wegen der Einschränkungen durch Covid-19 nicht in die USA reisen durften. Dennoch konnten sie in vollem Umfang an unseren Online-Lehrveranstaltungen teilnehmen. Zu Überraschung vieler Lehrender, die der Technologie skeptisch gegenüberstanden, verbesserten sich die Evaluierungsergebnisse mit dem Übergang zur Online-Lehre. Wie sich herausgestellt hat, schätzen unsere Studierenden die Vorzüge zeitversetzter Kurse, die Möglichkeit, ihre Ideen in filmischer Form und als geschriebene Exposés miteinander zu teilen, und die nicht endenden kreativen Möglichkeiten, die digitale Tools bieten.
Digitale Tools sollten Präsenzkurse nicht ersetzen, sondern ergänzen
Was heißt das für das Bildungswesen nach der Pandemie? Sind traditionelle Schulen am Ende? Mitnichten! Trotz der Vorteile des Online-Lernens kommen Schulen zurück. Junge Menschen haben mit der Isolation des Zuhause-Lernens zu kämpfen gehabt. So gut sie auch die digitale Kommunikation beherrschen, sie brauchen trotzdem die persönliche Interaktion miteinander. Die Rückkehr des persönlichen Sicherheitsgefühls bedeutet jedoch nicht, dass wir Schulen so organisieren sollten wie vor der Pandemie. So wie der Unterricht bisher organisiert war, wurden Schule oft zu einer Schinderei. In einer Umfrage, die kurz vor der Pandemie durchgeführt wurde, gaben zwei Drittel der Schüler in Deutschland an, dass sie nicht gerne zur Schule gehen. In den USA sagt die Hälfte der Schüler, dass sie in der Schule nicht mit Engagement lernen und rund ein Viertel der Schüler sagt, dass sie dem Unterricht „bewusst nicht folgen“. Diese Ergebnisse sind auch im internationalen Vergleich nicht ungewöhnlich. Die Art und Weise, wie wir Schule und den Unterricht bisher organisiert haben, hat zu oft die Schüler nicht motiviert. Die Zeit für eine Revolution in den Lehr- und Lernkonzepten ist lange überfällig.
Online und offline integrieren: Lehrer und Schüler sind vorbreitet
Die gute Nachricht lautet: Wenn man ihnen die Chance gibt, wissen Lehrer und Schüler, wie sie tiefgehende Lernerfahrungen machen – ob mit oder ohne digitale Tools. Ein siebenjähriges Projekt, das ich mit Andy Hargreaves, Director of Change, Engagement and Innovation in Education an der Universität Ottawa, durchgeführt habe, dokumentiert, wie Schüler in ländlichen Regionen in den USA gelernt haben, in Online-Communities gemeinsam mit Schülern aus anderen Landesteilen über wichtige Umwelt- und Wirtschaftsthemen zu schreiben. Eines dieser Themen ist zum Beispiel die zunehmende Nutzung von Drohnen in der Landwirtschaft. In unserer Studie über innovative Schulen in der kanadischen Provinz Ontario konnten wir verfolgen, wie Schüler Technologien klug und mit Augenmaß nutzten, um sich mit drängenden sozialen Fragen wie der globalen Flüchtlingskrise und der Notlage vermisster indigener Frauen zu beschäftigen.
In Seoul in Südkorea dokumentieren meine Kollegen Deoksoon Kim, Stanton Wortham und ich, wie Lehrer die traditionelle Lehr- und Lernkultur Ostasiens umkrempeln, indem sie den Schülern die Erfahrung von prüfungsfreien Semestern ermöglichen. Diese Art von Innovationen eröffnen neue Möglichkeiten für Themen, die sich die Schüler selbst für den Unterricht aussuchen können – mit oder ohne digitale Lerntools. Die Schüler in diesen Kursen bezeichnen sich selbst als hochmotiviert und auch die Lehrer sind mit den akademischen Fortschritten ihrer Schüler zufrieden.
Wenn Schulen immer mehr von bürokratischen Inseln zu vernetzten Knotenpunkten tiefgehenden und nachhaltigen Lernens werden, wird es immer schwieriger, zu anachronistischen Methoden zurückzukehren, die keinen Nutzen mehr bringen. Wir stehen jetzt vor der Herausforderung, die kommunikativen Möglichkeiten digitaler Tools wie Messenger Apps, Social Media und Internet in ethischer Weise für die Bildung zu nutzen, um auch die bildungsfernsten unter den Schülern zu erreichen und zu motivieren. Es ist an der Zeit, unsere Abneigung gegen Digitales und die Interpretation der Digitalisierung als Ablenkung in Schulen und der Gesellschaft hinter uns zu lassen. Indem wir Technologie in die Anleitung zum Lernen integrieren, wo es sinnvoll ist, sie aber beiseitelassen, wo sie keinen Nutzen bringt, können wir einen neuen Bildungsprozess schaffen, der inklusiver und sinnstiftender für alle ist. Wir können und sollten sicherstellen, dass die Schulen der Zukunft Lernorte sind, in der alle unsere Schüler ihre vollen, gottgegebenen Potenziale ausschöpfen können.
Dennis Shirley ist Professor of Education am Boston College in den USA und Richard von Weizsäcker Fellow der Robert Bosch Academy in Berlin. Er ist der Co-Autor des im Juni 2021 veröffentlichten Buches „Five Paths of Student Engagement: Blazing the Trail to Learning and Success”, das er gemeinsam mit Andy Hargreaves verfasst hat.
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