Trump und die Ukraine: Sollten wir alle besorgt sein?
Wenn die Trump-Regierung den falschen Weg einschlägt, werden auch die USA dafür bezahlen.
von Orysia Lutsevych
Es ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich, sich einen Reim darauf zu machen, was die Ukraine und damit auch Europa vom designierten US-Präsidenten Trump erwarten können. Alle Karten scheinen auf dem Tisch zu liegen. Es gibt eine Kakophonie von Stimmen und eine Vielzahl von Gruppen, die zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.
Beginnen wir mit dem, was wir wissen. Trump wird sich nur dann ernsthaft mit der Ukraine auseinandersetzen, wenn er dabei etwas zu gewinnen hat, andernfalls wird er desinteressiert sein. Er möchte nicht mit „endlosen Kriegen“ in Verbindung gebracht werden. Stellen Sie sich vor, er bekäme den Friedensnobelpreis – das ist die Art von Sieg, die Donald Trump für sich gefallen würde. Trump will jedoch zudem auch über die Beendigung des Krieges verhandeln. Das hat er mehrfach gesagt und dabei alle Verluste auf beiden Seiten erwähnt (und die belaufen sich auf eine Million toter bzw. verwundeter Soldat:innen, wenn man beide Seiten addiert). Trump hat am Rande des Treffens mit Selenskyj in Paris beide Seiten zum Waffenstillstand aufgefordert, um den Weg für Gespräche zu ebnen.
Wir wissen auch, dass Trump wahrscheinlich die Militärhilfe für Kyjiw kurzfristig reduzieren wird. Das bedeutet nicht, dass er Kyjiw den Nachschub abschneidet. Sein außenpolitisches Team, insbesondere der von ihm nominierte Außenminister Marco Rubio, wird der Abschreckung Chinas und der Verteidigung Taiwans Vorrang einräumen wollen. Israel dürfte bei der Lieferung von Rüstungsgütern eine höhere Priorität haben als die Ukraine. Daher könnten Rüstungslieferungen von der Ukraine weggeleitet werden. Bislang hat Trump die politischen Zusammenhänge zwischen Russland, dem Iran und Nordkorea nicht erkannt, zumindest nicht in seinen öffentlichen Erklärungen.
Trump denkt transaktional. Er wird Kyjiw fragen: Was springt für die USA dabei heraus, wenn wir euren Widerstand weiter unterstützen?
Selenskyjs Team hat seinen „Siegesplan“ vorgestellt, der den Zugang amerikanischer Investoren zu den seltenen Erden des Landes [1] und die Möglichkeit zum Kauf weiterer amerikanischer Waffen vorsieht. Ein Hinweis darauf, wie einige Geschäfte aussehen könnten, stammt aus dem Kauf von Kohle aus Pennsylvania [2] durch die Ukraine im Jahr 2017. Kyjiw bietet den USA an, in die ukrainische Verteidigungsindustrie zu investieren, die zwar unter Kapitalmangel leidet, aber mit Drohnen und Technologien für die elektronische Kriegsführung rasch Innovationen hervorbringt. Mit einer angemessenen Kriegsversicherung und dem Schutz geistiger Eigentumsrechte könnte diese Industrie boomen und für beide Seiten profitabel sein. Die militärische Ausrüstung hat bessere Chancen auf dem Weltmarkt, wenn sie sich in der Ukraine bewährt hat.
Das Risiko für diesen Plan ist Russland. Putin stellt unrealistische Forderungen für Verhandlungen auf[3]. Seine Armee drängt darauf, Gebiete der Ukraine mit wertvollen Bodenschätzen zu besetzen. Viele befinden sich in oder in der Nähe von aktiven Kampfgebieten. Putins Kriegsmaschinerie heizt die Wirtschaft an, und eine Drosselung könnte eine Rezession und eine Schwächung seiner Macht bedeuten.
Auch wenn Trumps Wünsche und Ambitionen mehr oder weniger klar sind, bleibt der Weg zu ihrer Erfüllung rätselhaft. Er selbst hat nie mehr gesagt, als dass Putin nicht einmarschiert wäre, wenn er im Weißen Haus gesessen hätte. Er sagte auch, Biden sei schwach und Amerika solle Stärke zeigen.
In der Ukraine-Russland-Frage hört er auf zwei Personengruppen. Die erste Gruppe kommt aus den etablierten außenpolitischen Kreisen: der künftige Leiter des Außenministeriums Marco Rubio, der neue Nationale Sicherheitsberater Mike Waltz [4] und der von Trump als Friedensbeauftragter für die Ukraine und Russland nominierte ehemalige General Keith Kellogg[5].
Das zweite Lager ist besorgniserregender und umfasst seinen Sohn Donald Trump Jr., den rechtsgerichteten Fernsehmoderator Tucker Carlson und die Kandidatin für das Amt der Direktorin des nationalen Geheimdienstes Tulsi Gabbard. Letztere ist am problematischsten, da sie dazu neigt, öffentlich Desinformationen und haarsträubende Propaganda gegen die Vereinigten Staaten zu zitieren, die von einigen der mächtigsten Feinde der USA, darunter Russland, verbreitet werden. Es könnte gut sein, dass Trump durch die gegensätzlichen Strategien dieser beiden Lager gelähmt wird und dadurch gezwungen sein wird, seine eigenen impulsiven Entscheidungen zu treffen oder jeder mögliche politische Aktion zu blockieren.
Frieden durch Stärke
Die Ukraine könnte das größte Opfer von Trumps rücksichtslosem und transaktionalem Ansatz in der Weltpolitik werden. Um diese Risiken abzumildern, zeigt Kyjiw guten Willen, mit Trump und seinem Team zusammenzuarbeiten und „Frieden durch Stärke“ zu schaffen. Dies ist ein langjähriges Konzept der Republikaner, das zuletzt von Ronald Reagan in den 1980er Jahren als Politik gegen die UdSSR propagiert wurde. Die diplomatische Offensive der Ukraine, um Trumps Ansichten in diesem Sinne zu beeinflussen, hat begonnen. Das erste offizielle Treffen zwischen Trump und Zelensky fand in Paris statt und wurde von Präsident Macron vermittelt. Andrij Jermak, Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, traf sich vor einigen Tagen in Washington mit Trumps Sicherheitsteam und General Kellogg.
Die Ukraine versucht, Trump davon zu überzeugen, dass der beste Anreiz für Putin, mit ehrlichen Absichten zu verhandeln, darin besteht, dass Russlands militärische Position auf dem Schlachtfeld bedroht wird. Es sind die russischen Generäle, die ihre politische Führung dazu zwingen könnten, die Verluste zu begrenzen und die Ukraine in Ruhe zu lassen. In gewisser Weise sind starke ukrainische Streitkräfte das einzig probate Druckmittel, um Putin an den Verhandlungstisch zu bringen. Die Russen könnten sich unter Druck zurückziehen und ihr militärisches Gerät mitnehmen. Die Bilder vom Abzug des russischen Militärs aus Syrien[6] könnten eine Inspiration für das Resultat sein, das Trump in der Ukraine anstreben könnte.
Die USA könnten auf Putin hören
Klar ist auch, dass Trump am ehesten scheitern wird, wenn er Putins Bedingungen für die Beendigung des Krieges zustimmt. Ein solcher Sieg Putins könnte der Welt die Botschaft vermitteln, dass der demokratische Block schwach, heuchlerisch und im Niedergang begriffen ist – dass die USA in ihrer Konfrontation mit Russland verloren haben. Kyjiw zu zwingen, territoriale Zugeständnisse juristisch anzuerkennen oder einem Waffenstillstand zuzustimmen, ohne dass ein robustes Verteidigungsabkommen mit den westlichen Staaten in Kraft ist, würde das Ende von Selenskyjs Regierung und Chaos in der Ukraine bedeuten. Die Russen planen bereits eine solche diplomatische Falle für Trump. Wird er sie schnell genug erkennen oder wird er auf eine vergiftete Vereinbarung zwischen Großmächten hereinfallen?
Ja, ich bin besorgt darüber, wie sich das alles entwickeln wird. Zu viele Menschenleben stehen auf dem Spiel, und wenn Trump den falschen Weg zur Beendigung dieses Krieges wählt, könnte noch mehr Krieg nach Europa kommen.
Deshalb habe ich mich einer Gruppe von Expertinnen und Experten am Weiser Center for Europe and Eurasia[7] an der University of Michigan angeschlossen, um Empfehlungen für Trump und sein Team zu erarbeiten. Wir argumentieren[8], dass „Präsident Donald Trump die Möglichkeit hat, eine effektivere Druckkampagne gegen Russland zu führen und ein Ende des Krieges zu erreichen. Damit würde er Russland und seinen Verbündeten einen Strich durch die Rechnung machen und die Gefahr eines Dritten Weltkriegs verringern.“ Wird er diese Gelegenheit nutzen? Das wird nur die Zeit zeigen.
Orysia Lutesvych ist stellvertretende Direktorin des Russland-Eurasien-Programms und Leiterin des Ukraine-Forums am Chatham House in London.
[1]https://www.weforum.org/stories/2024/07/the-future-of-critical-raw-materials-how-ukraine-plays-a-strategic-role-in-global-supply-chains/
[2]https://www.reuters.com/article/business/energy/after-trump-meeting-ukraine-to-import-us-thermal-coal-for-the-first-time-idUSKBN1AG205/
[3]https://www.reuters.com/world/europe/putin-is-ready-talk-trump-his-ukraine-demands-are-unchanged-kremlin-says-2024-11-08/
[4]https://kyivindependent.com/trump-picks-mike-waltz-as-national-security-adviser-amid-shifting-ukraine-policy-politico-reports/
[5]https://kyivindependent.com/trump-taps-retired-general-keith-kellogg-for-ukraine-peace-envoy/
[6]https://www.youtube.com/watch?v=dJYV9gpU2fk
[7]https://ii.umich.edu/wcee
[8]https://www.atlanticcouncil.org/blogs/new-atlanticist/a-winning-strategy-to-end-russias-war-against-ukraine/
Quarterly Perspectives
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