Philanthropie ist mehr als nur Geld
Philanthropie wird vielfach als eine bloße Finanzierungsquelle missverstanden. Tatsächlich bietet sie heute viel mehr als nur Geld und kann sich als Katalysator zur Lösung von Herausforderungen, die vor uns liegen, entfalten.
Von Sandra Breka
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat weltweit Entsetzen und Sorge ausgelöst. Unserem Stifter Robert Bosch waren Frieden und Stabilität gerade in Europa ein besonderes Anliegen. Die Robert Bosch Stiftung ist diesem Vermächtnis verpflichtet und hat seit den 1990er Jahren zahlreiche Vorhaben in der Ukraine unterstützt. Mit vielen Alumni und Partner:innen sind wir bis heute eng verbunden. Unsere Sorge und unser Mitgefühl gilt allen Ukrainer:innen und den Menschen vor Ort, die sich seit Jahren für Freiheit und die demokratische Entwicklung der Ukraine einsetzen. Gleichzeitig sorgen wir uns um diejenigen Menschen in Russland, die offen gegen den Krieg eintreten und dafür große persönliche Risiken eingehen. Es bedarf unser aller Anstrengung für Freiheit, Frieden und Stabilität.
Dieser Krieg in Europa zeigt einmal mehr, dass die Themen, die sich die Robert Bosch Stiftung gesetzt hat, hoch relevant sind. Frieden bleibt für uns als Stiftung zentrales Thema: Weltweit sind rund zwei Milliarden Menschen von gewaltsamen Konflikten betroffen. Demokratien werden von Autokratien herausgefordert. Der Krieg in der Ukraine ist ein Angriff auf Europa, die nach Ende des Kalten Krieges etablierte Sicherheitsordnung und auf die Freiheiten demokratischer Gesellschaften.
Philanthropische Organisationen sind auch auf multilaterale Zusammenarbeit angewiesen
Besonders in Zeiten wie diesen wird die dringende Notwendigkeit multilateraler Zusammenarbeit deutlich. Für die Lösung der Herausforderungen in vielen der Themen der Robert Bosch Stiftung ist sie unerlässlich. Insbesondere in den Themen Migration, Klimawandel, Frieden und Ungleichheit arbeiten wir eng mit z.B. den Vereinten Nationen zusammen.
Die Africa Climate Mobility Initiative (ACMI) wurde von der Afrikanischen Union, den Vereinten Nationen und der Weltbank ins Leben gerufen. Die Initiative hat zum Ziel, evidenzbasierte Lösungsansätze für den Umgang mit klimabedingter Migration in Afrika zu entwickeln. Sie dienen dem Schutz von Menschen, die regional und lokal migrieren, indem ihre Resilienz und Anpassung an den Klimawandel gestärkt werden. Dieser beispiellosen globalen Partnerschaft haben sich Wissenschaftler, Praktiker, politische Entscheidungsträger und philanthropische Organisationen, darunter die Robert Bosch Stiftung, angeschlossen.
Im Thema Ungleichheit besteht seit Anfang 2022 eine strategische Partnerschaft mit UNRISD (United Nations Research Institute for Social Development). Die Arbeit von UNRISD zeichnet sich dadurch aus, soziale und ökologische Fragestellungen über die Grenzen von Forschungs- und Politikfeldern hinweg zu bearbeiten. Das kürzlich gegründete globale Forschungsnetzwerk zu einem neuen sozial-ökologischen Gesellschaftsvertrag bringt neben Wissenschaftlern auch Praktiker aus der ganzen Welt zusammen. Im Zentrum der Arbeit von UNRISD insgesamt steht, nachhaltige Entwicklungsstrategien gerechter und integrativer zu gestalten, um Ungleichheiten über soziale, wirtschaftliche und ökologische Dimensionen hinweg verringern zu können. Dabei setzt UNRISD unter anderem darauf, bisher vernachlässigte Wissensbestände, wie beispielsweise indigenes Wissen und praktische Erfahrungen, in Analysen und Politikempfehlungen einzubeziehen.
Neben der Zusammenarbeit in den Themen unterstützt die Robert Bosch Stiftung auch die übergreifenden Initiativen der Vereinten Nationen. Im Rahmen der UN-Generalversammlung im September 2021 stellte UN-Generalsekretär António Guterres den Bericht „Our Common Agenda“ vor. Es ist ein ambitionierter Aktionsplan für die nächsten 25 Jahre, der konkrete Maßnahmen für das enthält, was António Guterres als inklusiven, vernetzten und effektiven Multilateralismus bezeichnet. Der Bericht ist aus einem umfassenden Konsultationsprozess im Rahmen des 75-jährigen Bestehens der Vereinten Nationen 2020 hervorgegangen und knüpft an bestehende Entwicklungsziele wie die Agenda 2030 an. In dem Bericht enthaltene Maßnahmen zur Bewahrung und Schaffung von Frieden wie die New Agenda for Peace haben aufgrund des Krieges in der Ukraine neue Dringlichkeit erfahren.
Philanthropie kann Risiken eingehen und unkonventionelle Lösungen suchen
Diese Beispiele verdeutlichen unser Selbstverständnis als Förderer: Globale Herausforderungen bzw. Phänomene nicht isoliert zu betrachten, sondern immer in ihren Wechselwirkungen; partnerschaftlich und über Sektorengrenzen hinweg an Lösungen zu arbeiten und eine Vermittlerrolle zwischen verschiedenen Stakeholdern einzunehmen; lokales Wissen und Handeln in internationale Prozesse einzubetten; evidenzbasierte Politikgestaltung zu unterstützen; jenseits von Projekten langfristig zu fördern und Akteure und Organisationen möglichst flexibel in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Dabei gilt der Grundsatz: Nicht Projekte verändern die Welt, sondern Menschen und Institutionen. Daher ist es wichtig, uns für die angemessene Beteiligung von Zivilgesellschaft einzusetzen und sie in ihrer Handlungsfähigkeit, Unabhängigkeit und Resilienz zu stärken, z.B. im Rahmen von „Our Common Agenda“.
Die Herausforderungen, die vor uns liegen, erfordern einen integrativen Ansatz, der alle Regionen, Meinungen und Akteure aus allen Bereichen einbezieht: Regierungen und internationale Organisationen, den privaten Sektor und die Tech-Community, die Wissenschaft, die Zivilgesellschaft und andere relevante Akteure. Es geht darum, das Fachwissen zivilgesellschaftlicher Organisationen, die Reichweite von Regierungen, die Innovation und Unabhängigkeit der Philanthropie sowie die Effizienz des Privatsektors zu nutzen.
Philanthropie wird vielfach nur als Finanzierungsquelle wahrgenommen. Tatsächlich hat sich die Philanthropie mit Blick auf die Wirkung professionalisiert und bietet heute viel mehr als nur Geld: Unabhängig von aktuellen Nachrichten und Wahlzyklen kann sie Risiken eingehen und nach unkonventionellen Lösungen für lokale, regionale, nationale und globale Probleme suchen. Philanthropie kann Teile der Gesellschaft erreichen, die weder von Regierungen noch von Unternehmen erreicht werden, und sie kann Bürgerinnen und Bürger dabei unterstützen, sich zu beteiligen und sektorübergreifende Partnerschaften zu schmieden. Sie muss ihr Potenzial als Katalysator für Lösungen der Herausforderungen, die vor uns liegen, entfalten.
Sandra Breka ist Geschäftsführerin der Robert Bosch Stiftung.
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