Was nun, Niger?
Nach Militärputschen in Mali und Burkina Faso ist ein weiteres Land in der Region einem Putsch unterlegen. Warum die Situation in Niger anders ist und welchen geopolitischen Einfluss der Militärputsch hat, erklären unsere Partner des Institutes for Security Studies, einem regionalen Think Tank mit Fokus auf Afrika und Sicherheitspolitik.
Von Fahiraman Koné, Hassane Koné und Djiby Sow
Am 26. Juli übernahm das Militär in Niger die Macht und setzte den gewählten Präsident Mohamed Bazoum ab. Unter der Führung von General Abdourrahmane Tchiani, dem Chef der Präsidentengarde, hat der Conseil National pour la Sauvegarde de la Patrie (CNSP), also der Nationale Rat zur Bewahrung des Vaterlandes, faktisch die Macht an sich genommen. Präsident Bazoum, der sich weigerte zurückzutreten, wird weiterhin vom CNSP festgehalten. Dieser Staatsstreich folgt auf einen gescheiterten Versuch nach Bazoums Wahl im Jahr 2021 und ist die fünfte Machtübernahme durch das Militär seit der Unabhängigkeit Nigers im Jahr 1960.
Ein Putsch zu viel
Am 29. Juli stellte die Afrikanische Union (AU) dem CNSP ein Ultimatum von 15 Tagen, „die verfassungsmäßige Autorität wiederherzustellen“. Am nächsten Tag beschloss die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) eine Reihe strenger Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegen Niger. Die ECOWAS forderte die sofortige Freilassung und Wiedereinsetzung von Bazoum und gab der CSNP eine Woche Zeit, um ihren Forderungen nachzukommen, andernfalls würden weitere Maßnahmen ergriffen, einschließlich der möglichen Anwendung von Gewalt.
Das Ausmaß des von der ECOWAS ausgeübten Drucks wird als angemessen für die Bedrohung ihrer Null-Toleranz-Politik gegenüber verfassungswidrigen Regierungswechseln dargestellt. Nach den Doppelputschen in Mali (2020 und 2021) und Burkina Faso (beide 2022) sowie dem Einzelputsch in Guinea (2022) ist der Sturz der gewählten Regierung Nigers der sechste Militärputsch in Westafrika seit 2020.
Die regionale Organisation liegt richtig mit ihrer Einschätzung, dass das Versäumnis, diese jüngste militärische Machtübernahme zu unterbinden, die Fähigkeit der ECOWAS, ihren normativen Rahmen in Bezug auf verfassungswidrige Regierungswechsel aufrechtzuerhalten und das politische Schicksal ihrer Mitgliedsstaaten zu beeinflussen, unwiderruflich untergraben könnte.
Die Machtübernahme durch das Militär in Niger ist im Vergleich zu Burkina Faso und Mali eher untypisch, was auch die härtere Gangart der ECOWAS erklären könnte. Offiziell wurde der Staatsstreich mit der „anhaltenden Verschlechterung der Sicherheitslage und der schlechten wirtschaftlichen und sozialen Regierungsführung“ begründet. Allerdings wurden Sicherheitsfragen in Niger effizienter gehandhabt als in seinen zentralen Sahel-Nachbarn.
Militärische Maßnahmen: eine risikoreiche Option
Das Ultimatum der ECOWAS lief am 6. August aus, ohne dass vor Ort große Fortschritte erzielt wurden. Der CNSP reagierte nicht auf die diplomatischen Bemühungen der Regionalorganisation. Eine westafrikanische Delegation, der der ehemalige nigerianische Präsident Abdulsalami Abubakar und der Sultan von Sokoto, ein religiöser Würdenträger, angehörten, reiste am 2. August nach Niamey, wurde aber von General Tchiani nicht empfangen. Am 7. August verschob der CNSP den Besuch einer dreiköpfigen AU-UN-ECOWAS-Delegation in Niamey auf unbestimmte Zeit, offiziell aufgrund von Sicherheitsbedenken, die sich aus der Wut der Bevölkerung über die gegen das Land verhängten Wirtschaftssanktionen ergäben. Der CNSP hat in der Zwischenzeit seine Position innerhalb der Streitkräfte gefestigt und seine Basis in den städtischen Gebieten ausgebaut, was vor allem auf die Androhung externer Militäraktionen und Wirtschaftssanktionen zurückzuführen ist. Antifranzösische Stimmungen haben ebenfalls zu Demonstrationen zur Unterstützung der Armee geführt.
Die ECOWAS, die eine diplomatische Lösung bevorzugt, trat am 10. August erneut zusammen und aktivierte ihre Eingreiftruppe zur Vorbereitung einer militärischen Intervention. Oberstes Ziel jeder internationalen Aktion muss jedoch die Wiederherstellung eines stabilen und regierungsfähigen Niger sein, der in der Lage ist, den gewalttätigen Extremismus zu bekämpfen und seinen Bürger:innen wirtschaftliche und soziale Unterstützungsleistungen zu bieten. Unter diesem Gesichtspunkt ist eine militärische Intervention in Niger mit hohen Risiken verbunden. Das größte Risiko besteht in einer weiteren Spaltung der Verteidigungs- und Sicherheitskräfte, die ursprünglich nicht alle den Putsch unterstützt haben. Das Worst-Case-Szenario eines Zusammenstoßes zwischen militärischen Einheiten konnte nach ausführlichen Konsultationen, die zu dem Kommuniqué des Generalstabs der Streitkräfte vom 27. Juli führten, in dem die CNSP-Erklärung gebilligt wurde, gerade noch abgewendet werden.
Ein ebenso kritischer Punkt ist die Regierbarkeit Nigers nach einer Militärintervention. Während die Armee grundsätzlich den zivilen Institutionen untergeordnet sein sollte, dürften Bazoums Beziehungen zu Teilen des Militärs sowie seine allgemeine Regierungsfähigkeit in Frage gestellt werden, sollte er durch eine militärische Intervention von außen wieder eingesetzt werden. In Niger und in der westafrikanischen Region im weiteren Sinne ist der Eindruck, dass die Führer externen Kräften verpflichtet sind, bereits tief in der öffentlichen Meinung verwurzelt. Und wie beim Präzedenzfall in Gambia erscheint eine „In-and-out“-Operation unrealistisch. Unter der Annahme, dass die Militäraktion ihre Ziele erreicht, deutet die derzeitige Lage in Niger stark darauf hin, dass die ECOWAS ihre Truppenpräsenz aufrechterhalten müsste, um Bazoums Sicherheit und die Funktionsfähigkeit seiner Regierung zu gewährleisten.
Dies würde nicht nur den Eindruck verstärken, dass das Regime unter externer Vormundschaft steht, sondern die Feindseligkeit der Bevölkerung gegenüber der Präsenz ausländischer Streitkräfte auf nigrischem Boden würde sich noch verstärken Da das Szenario eines anhaltenden Widerstands der Zivilbevölkerung durchaus denkbar ist, müssen auch die humanitären Folgen einer militärischen Intervention, einschließlich der Verstärkung destabilisierender Flüchtlings- und Migrantenströme, berücksichtigt werden.
Die Einheit von ECOWAS ist in Gefahr
In der Zwischenzeit entwickelt sich die Situation in Niger in einem völlig neuen regionalen politischen Kontext. Innerhalb der ECOWAS selbst gibt es eine länger werdende Bruchlinie mit einer De-facto-Koalition der Übergangsregierungen von Burkina Faso, Guinea und Mali. Alle lehnten die Maßnahmen der ECOWAS gegenüber Niger ab, wobei Burkina Faso und Mali am 31. Juli warnten, dass sie jede bewaffnete Aktion gegen Niger als eine Kriegserklärung gegen sich betrachten würden. Gemeinsam verfügen diese Staaten über eine wachsende politische Stärke, die ein militärisches Eingreifen erschweren könnte.
Entscheidend ist, dass diese politische Dynamik durch eine Verschiebung der strategischen Allianzen zugunsten Russlands inmitten eines neuen Wettbewerbs der Großmächte verstärkt wird. Die Situation in Niger hat also auch starke geopolitische Auswirkungen, da der CNSP die Militärabkommen des Landes mit Frankreich gekündigt hat und angeblich die Unterstützung der russischen Söldnergruppe Wagner sucht. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass jegliche regionale Maßnahme nicht zu den geopolitischen Spannungen beiträgt, die die Sahelzone und Westafrika zunehmend polarisieren und ihre Stabilität untergraben.
Die ECOWAS muss zudem ihre Einheit bewahren. Neben den Ländern, die sich im militärischen Umbruch befinden, haben sich auch Liberia, Sierra Leone und Capo Verde gegen die Anwendung von Gewalt ausgesprochen. Von den 14 Mitgliedstaaten der Organisation, neben Niger, lehnen also sechs die militärische Option ab. Ihre Zahl erhöht sich auf sieben, wenn man Togo hinzurechnet, das zwar auf der Konferenz der Staatsoberhäupter am 10. August keine Stellungnahme abgab, aber seine Präferenz für eine Verhandlungslösung signalisierte, indem es einseitig eine Vermittlung mit den nigrischen Militärbehörden aufnahm. Nigeria, die führende Wirtschafts- und Militärmacht der ECOWAS, ist durch seine innenpolitischen Verhältnisse gebunden und hat seither eine kurze Übergangszeit von neun Monaten gefordert. Der Senat hatte bereits Präsident Tinubu aufgefordert, die Bemühungen für eine diplomatische Lösung zu verstärken und die Erwartungen hinsichtlich des Ausmaßes der nigerianischen Rolle bei einer möglichen Militäroperation zu dämpfen.
Fehlende diplomatische Unterstützung
Die militärische Option der ECOWAS genießt zudem nicht die volle politische Unterstützung der Afrikanischen Union (AU). Der Friedens- und Sicherheitsrat (PSC) der AU brauchte acht Tage, um das Kommuniqué seiner Sitzung vom 14. August zu Niger herauszugeben. Grund dafür waren interne Differenzen über die Frage einer Militärintervention, die insbesondere von Algerien, Südafrika und Ägypten abgelehnt wurde. Das PSC unterstützte daher die Bemühungen der ECOWAS um eine diplomatische Lösung, nahm jedoch lediglich die Entscheidung der Organisation zur Kenntnis, unter Umständen Gewalt anzuwenden, und forderte eine Bewertung der humanitären, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Auswirkungen einer solchen Intervention.
Ebenso ist es unwahrscheinlich, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein militärisches Eingreifen in Niger genehmigen wird. Obwohl Russland den Staatsstreich verurteilt und eine Rückkehr zur Legalität gefordert hat, ist es gegen eine militärische Aktion. Die ECOWAS wird auch nicht auf die wichtige Unterstützung der USA zählen können – einschließlich logistischer und nachrichtendienstlicher Unterstützung. Die USA haben im Nachgang einer diplomatischen Konsultation in Niamey am 2. August ihre Präferenz für eine Verhandlungslösung zum Ausdruck gebracht. Die von der CSNP gemachten Zusagen bezüglich ihrer (Nicht-)Zusammenarbeit mit Russland und der „Gruppe Wagner“ scheinen die USA zu einem pragmatischen Ansatz bewogen zu haben. Eine neue US-Botschafterin in Niger trat am 16. August ihr Amt in Niamey an.
Die Notwendigkeit eines ausgehandelten Übergangs
Angesichts der mit einer bewaffneten Intervention verbundenen Risiken und der unterschiedlichen Auffassungen innerhalb der ECOWAS und mit ihren diplomatischen Partner:innen sollte die ECOWAS eine Übergangsphase für die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung in Niger in Betracht ziehen. Die Wiederherstellung eines stabilen und regierbaren Niger erfordert einen diplomatischen Ansatz im Rahmen eines Dialogs mit dem CNSP. Eine Verhandlungslösung ist für den CNSP umso dringlicher geworden, als die von der ECOWAS gegen das Land verhängten wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen rasch untragbar werden.
Die Wiedereinsetzung von Präsident Bazoum erscheint jedoch mit der Zeit als Ergebnis immer unrealistischer. Die ECOWAS muss daher die Option eines Übergangs unter ziviler Führung in Betracht ziehen. Die Ernennung des Vorsitzenden der Nationalversammlung zum Präsidenten, wie sie in der Verfassung für den Fall eines Machtvakuums vorgesehen ist, würde einen verfassungsmäßigen Übergang gewährleisten.
Fahiraman Koné ist Sahel-Projektmanager beim Institute for Security Studies ISS Regional Office für West Africa, der Sahelzone und den Tschadsee.
Hassane Koné ist Senior Researcher beim Institute for Security Studies ISS Regional Office für West Africa, der Sahelzone und den Tschadsee.
Djiby Sow ist Senior Researcher beim Institute for Security Studies ISS Regional Office für West Africa, der Sahelzone und den Tschadsee.
Das Institute for Security Studies
Quarterly Perspectives
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