Wenn Stadtbezirke zu Fallen für ihre Bewohner werden
In vielen städtischen Randbezirken überlappen sich verschiedenste Probleme, was sie zu Inseln der Vulnerabilität macht. Oft ist der soziale Aufstieg nur durch das Wegziehen möglich. Ein Forschungsprojekt aus drei Ländern zeigt Alternativen auf und verdeutlicht: Die Bewohner haben oft sinnvolle Verbesserungsvorschläge. Zeit, auf sie zu hören.
Von Doug Saunders
Die Pandemie hat unsere Sichtweise auf viele Dinge verändert – und die Karten unserer Großstädte sollten dazu gehören. Die vergangenen zwei Jahre haben unser Verständnis dafür verändert, wo die anfälligsten Orte sind, wo Hindernisse existieren und wo Investitionen und Sanierungsmaßnahmen den größten Nutzen versprechen.
Bei früheren Epidemien in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten konzentrierten sich Ansteckung und Leid vor allem auf die am dichtesten besiedelten, älteren Wohnviertel im Stadtkern, wo die Menschen am wenigsten geschützt waren und wo sich bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein vor allem Neuankömmlinge niederließen. Im 21. Jahrhundert hat sich jedoch etwas verändert, und es bedurfte einer Pandemie, damit wir diese Veränderung bemerken. In vielen Städten Europas und Nordamerikas haben sich die Covid-19-Infektionen nicht auf das Stadtzentrum beschränkt, sondern konzentrierten sich überwiegend auf die Randbezirke und die inneren Vorstädte – typischerweise auf die Wohnvororte, die in den letzten Jahren zu den ersten Anlaufstellen für Neuankömmlinge geworden sind.
Hohe Infektionsraten als Symptom der Vulnerabilität
Dies hätte eigentlich keine Überraschung sein dürfen. Während meiner zweijährigen Forschungsarbeit an der Robert Bosch Academy habe ich in mehreren dieser peripheren Wohnviertel in ganz Europa recherchiert und festgestellt, dass die unverhältnismäßig hohen Infektionsraten an diesen Orten lediglich das jüngste und tragischste Symptom von Formen der Vulnerabilität sind, die sich in diesen „Fallenvierteln“ – „trap districts“, wie ich sie nenne – konzentriert haben.
Zwei große, wenig beachtete Phänomene haben die Städte des Westens in den letzten 20 Jahren verändert: Der Wegzug der meisten Einwanderer in die städtische Peripherie und das damit verbundene Phänomen, das als „Suburbanisierung der Armut“ bekannt ist. Beide Phänomene wurden durch die Wiederbelebung der Innenstädte, die Verlagerung von niedrig qualifizierten Arbeitsplätzen von der verarbeitenden Industrie in die Dienstleistungswirtschaft und die gravierende Wohnungsknappheit beschleunigt, die in vielen Städten die Kosten in die Höhe getrieben hat und so die alten „Einstiegsorte“ für Einwanderer unzugänglich macht. All diese Faktoren haben dazu geführt, dass Neuankömmlinge sowie wirtschaftlich schwache, postindustrielle und postautoritäre Bevölkerungsgruppen in die Peripherie verdrängt wurden.
Warum sind diese Viertel so besonders anfällig für Infektionen? In den letzten drei Monaten habe ich diese Frage vielen ihrer Bewohner gestellt, und sie wiesen immer wieder darauf hin, dass sie in besonderem Maße auf „systemrelevante“ Arbeitsplätze angewiesen sind, die sich in der Regel in anderen Teilen der Stadt befinden und zudem eine lange Fahrt in einem überfüllten Bus oder einer Straßenbahn erfordern.
Meine Feldforschung konzentrierte sich auf drei große Stadtteile: Bergsjön, ein in den 1970er Jahren für Autoarbeiter gebautes Wohnviertel im Norden von Göteborg; Grünau, ein sozialistisches Plattenbauviertel aus den 1980er Jahren am äußersten westlichen Rand von Leipzig; und Ciutat Meridiana, ein in den 1960er Jahren für Arbeiter gebautes Quartier mit Privatwohnungen am Stadtrand von Barcelona. Ich hatte 2019 begonnen, diese Viertel zu untersuchen, weil alle drei gewisse Probleme mit einer geringen sozioökonomischen Mobilität zwischen den Generationen aufwiesen (einfach ausgedrückt, den Kindern ging es nicht so gut wie ihren Eltern). Im Sommer 2020 stellte sich dann heraus, dass diese Viertel die höchsten Covid-19-Infektionsraten in ihrem jeweiligen Ballungsraum aufwiesen, oft mit großem Abstand.
Baugestaltung und mangelnde Infrastruktur benachteiligen Randbezirke
Die Bewohner nannten wiederholt zwei große Kategorien von Problemen: Der erste Problemkomplex liegt in der baulichen Gestaltung dieser Randbezirke. Unabhängig davon, ob es sich um private Mietwohnungen (wie in Leipzig), Eigentumswohnungen (wie in Barcelona) oder öffentliche Wohnungen mit Sozialmieten (wie in Göteborg) handelt, wurden diese Viertel in den Nachkriegsjahrzehnten in der Regel als Schlafgemeinschaften für Industriearbeiter oder Menschen aus der unteren Mittelschicht gebaut. Sie besaßen ein Auto, arbeiteten in anderen Stadtteilen und kauften in anderen Vierteln ein.
Diese Randbezirke verfügen über große Puffer und natürliche Barrieren, die sie von anderen, wohlhabenderen Vierteln trennen und den Fußgängerverkehr zwischen ihnen verhindern, sowie häufig über grasbewachsene Leerräume zwischen den Gebäuden, die bei Tag angenehm und bei Dunkelheit oder im Winter bedrohlich wirken. Die neuen „Ankunftsviertel“ für Migranten sind voller Barrieren – viele davon buchstäblich physische Barrieren, die Verbindung, Handel, Gemeinschaftsbildung, Verknüpfung und – deutlich gesagt – Integration verhindern.
Das zweite, damit zusammenhängende Problem ist der Mangel an Einrichtungen, Anlagen und Räumen für die kreative und kommerzielle Nutzung im Viertel.
Schulen sind hier ein besonderes Problem. In Barcelona beklagte sich der Direktor einer Sekundarschule bei mir, dass aus den meisten Abschlussklassen seiner Schule kein einziges Kind eine Universität oder eine andere weiterführende Schule besucht, und die Mehrheit schließt nicht einmal die Sekundarschule ab. Tatsächlich schaffen es sehr viele Kinder aus diesen Vierteln auf eine höhere Schule – aber das sind diejenigen, deren ehrgeizige Eltern sparen, um ein Auto zu kaufen, damit sie ihre Kinder jeden Morgen zu einer besseren Schule in einem bürgerlichen Viertel bringen können. Diese Bildungsflucht der ehrgeizigeren Einwanderer und „weißen“ Bewohner führt zu einer Abwärtsspirale bei der Schulqualität, die in all diesen Bezirken zu beobachten ist.
Die Schulen sind nicht das einzige Problem. In diesen Stadtteilen, die als reine Wohngebiete ausgewiesen sind, gibt es in der Regel nur ein begrenztes Angebot an Gesundheits-, Bildungs-, Sozial- und anderen staatlichen Einrichtungen, nur wenige religiöse oder kulturelle Stätten und nur sehr wenige Geschäfte oder Möglichkeiten, ein kleines Unternehmen zu eröffnen. Infolgedessen sind die wenigen Orte, die es dort gibt, meistens überfüllt, was zu einer erhöhten Erkrankungsrate beiträgt.
Zwar haben die Regierungen im Lauf der Jahre vereinzelte Versuche unternommen, diese Randbezirke durch kleine Investitionen und Bauprojekte zu verbessern, doch ich habe festgestellt, dass die Bewohner selbst eine sehr klare Vorstellung davon haben, was ihr Viertel vulnerabel macht und welche Hindernisse ihrem Erfolg und ihrer Sicherheit im Wege stehen.
Die Bewohner selbst haben sinnvolle Verbesserungsvorschläge
Wenn ich sie frage, „was sich ändern muss“, nennen sie eine Reihe von wichtigen Faktoren. Die Schaffung besserer Verbindungen zu anderen Stadtteilen durch schnellere und sicherere Verkehrsmittel, mehr Fußgänger- und Straßenverbindungen, damit sich die verschiedenen Gemeinschaften vermischen und Kunden anziehen können. Das Beseitigen von Barrieren – Straßenränder, Wälder, Autobahnen –, die solche Verbindungen verhindern. Das Auffüllen leerer, abschreckender Räume zwischen Gebäuden, um eine lebendigere Bevölkerungsstruktur und ein größeres Angebot an Einrichtungen zu schaffen. Das Bereitstellen von mehr Einzelhandels- und Gastronomieflächen, wie z. B. einen informellen Markt zwischen den Gebäuden, als Geschäftsmöglichkeit und Anziehungspunkt. Und das Schaffen von Anreizen für Menschen, in das Viertel zu kommen, als Besucher, Einkäufer und möglicherweise als langfristige Bewohner – einschließlich des Schaffens von „Magnet-Schulen“, die junge Menschen anziehen, anstatt sie zu vertreiben.
Ein Leben in der Peripherie muss nicht isoliert, abgekoppelt und krankheitsanfällig sein. Die Bewohner der Wohnungen, mit denen ich gesprochen habe, liebten die Natur, die Gemeinschaft und das ruhige Leben am Stadtrand – aber sie wussten auch, warum ihr Viertel zu einem riskanten Ort geworden ist und wie man das ändern kann. Es ist an der Zeit, auf sie zu hören.
Doug Saunders ist ein britisch-kanadischer Journalist und Kolumnist für die kanadische Tageszeitung The Globe and Mail sowie Richard von Weizsäcker Fellow der Robert Bosch Academy. Er ist Autor mehrerer Bücher über Städte und Migration, unter anderem „Arrival City: The Final Migration and Our Next World“.
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