Vorgestellt: Naila Kabeer
Naila Kabeer ist Professorin für Gender und Entwicklung in der Abteilung für internationale Entwicklung an der London School of Economics (LSE) und Mitglied der Fakultät des International Inequalities Institute der LSE. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Gender, Armut, Arbeitsmärkte, Sozialschutz und Staatsbürgerschaft, und sie verfügt über langjährige Erfahrung in Lehre, Ausbildung, Forschung und Beratung in diesen Bereichen.
Woran arbeiten Sie als Fellow an der Robert Bosch Academy?
In meiner Forschung habe ich mich über die Jahre hinweg immer wieder mit dem Thema Gender und seinen Überscheidungen mit anderen Formen der Ungleichheit befasst. Denn Gender hat einen strukturellen Einfluss auf unsere Weiterentwicklungsmöglichkeiten, es spielt eine Rolle in der Politik und hat Auswirkungen auf kollektives Handeln für mehr soziale Gerechtigkeit. Ich möchte diese Erkenntnisse nun auf den Bereich des Klimawandels übertragen, der sich zur entscheidenden Herausforderung unserer heutigen Zeit entwickelt. Eine zentrale Annahme, die meiner Arbeit zugrunde liegt, ist, dass ein Wachstumsparadigma, das auf unregulierten Marktkräften (Fundamentalismus des freien Marktes) beruht, eine der Hauptursachen für weltweite Krisen und Probleme ist und damit einen der Haupttreiber für die klimabedingten Ungerechtigkeiten darstellt.
Wie alle großen Herausforderungen, denen wir uns heute gegenübersehen, sind auch vom Klimawandel verursachte Probleme nicht einfach zu lösen. Jede Lösung bringt Spannungen und schwierige Kompromisse mit sich, sowohl zwischen Staaten als auch zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Ich möchte meine Zeit an der Academy nutzen, um mich damit vertraut zu machen, wie unterschiedliche Stakeholder (Forscher:innen, politische Entscheidungsträger:innen und Aktivist:innen) Probleme des Klimawandels definieren und ob sie meine Kritik an unregulierten Marktkräften teilen. Ich möchte auch herausfinden, welche Lösungen sie für möglich halten, wie die Belange der Geschlechtergerechtigkeit in diese Lösungen einfließen und welche Überschneidungen es zwischen diesen verschiedenen Perspektiven gibt.
Was sind die größten Herausforderungen in Ihrem Arbeitsfeld?
Verschiedene Formen von Ungleichheit gibt es zwar schon seit langem, doch in den vergangenen Jahrzehnten haben sie sich verstärkt. Die Forschung zu diesem Phänomen führt diese Entwicklung auf die Dominanz eines marktorientierten Wachstumsparadigmas seit den späten 1970er Jahren und die Abwertung der Rolle des Staates und der Zivilgesellschaft bei der Bewältigung von Ungerechtigkeiten zurück. Das betrifft nicht nur Ungerechtigkeiten, die aus der Vergangenheit stammen, sondern auch neue Formen von Ungleichheit, die erst durch die Kräfte des freien Marktes entstanden sind. Was bei dieser Analyse häufig fehlt, ist die Erkenntnis, dass Gender eine zentrale Dimension dieser Ungleichheiten ist.
Die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern sind zum Teil ein Produkt sozialer Normen und Praktiken in den verschiedenen Ländern, aber sie spiegeln auch das Versagen des Wachstumsparadigmas wider, wenn es darum geht, die unbezahlte Betreuungs- und Reproduktionsarbeit, die weltweit überwiegend von Frauen und Kindern geleistet wird, anzuerkennen und zu unterstützen. Genau diese Arbeit hindert Frauen wesentlich daran, am wirtschaftlichen und öffentlichen Leben teilzuhaben. Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern ist allgegenwärtiger als jede andere Form der Ungleichheit und zieht sich durch alle Länder, Klassen und sozialen Gruppen. Sie wird aber häufig übersehen, gerade weil sie so selbstverständlich ist. Es besteht eine echte Gefahr, dass diese Tendenz des Übersehens bei den derzeitigen Bemühungen auftritt, die mit dem Klimawandel verbundenen Schäden zu diagnostizieren und Lösungen zu finden. Die Herausforderung für Feminist:innen besteht darin, zu zeigen, dass die Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern ein zentraler Teil des Problems ist und daher auch ein zentraler Teil jeder Lösung sein muss.
Was ist die wichtigste Lehre, die Sie aus der Klimadiplomatie der vergangenen Jahre gezogen haben?
Der Klimawandel ist für mich ein neues Gebiet, doch meine Forschungsarbeiten über die negativen Auswirkungen des marktgesteuerten Wachstums auf viele Aspekte der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern bietet einen sehr relevanten Einstieg in den Bereich der Klimadiplomatie. Viele der Spannungen, die wir in der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung zwischen reichen und armen Ländern, zwischen reichen und armen Menschen und zwischen Männern und Frauen, die verschiedene Arten von Unterdrückung erfahren, sehen, werden sich wahrscheinlich in irgendeiner Form in der Klimadiplomatie widerspiegeln. Denn auch die Klimapolitik wird von denjenigen dominiert, die im aktuellen politischen und wirtschaftlichen System die Macht innehaben. Mir ist aber auch klar, dass die Bereitschaft, gemeinsame Lösungen zu finden, bei denjenigen zivilgesellschaftlichen Akteur:innen und Bewegungen groß sein kann, die weniger vom Status quo profitieren und eher bereit sind, über Lösungen nachzudenken, die über den Istzustand und seine Rahmenbedingungen hinausgehen.
Welche neuen Erkenntnisse für Ihre Arbeit erhoffen Sie sich von Ihrem Fellowship?
Ich möchte mein Fellowship nutzen, um besser zu verstehen, wie drei wichtige Gruppen, nämlich politische Entscheidungsträger:innen, Forscher:innen und Akteur:innen der Zivilgesellschaft, die wichtigsten Treiber des Klimawandels interpretieren und welche Prioritäten sie für die kommenden Jahre setzen. Ich möchte verstehen, welche unterschiedlichen Meinungen es gibt und wo Überschneidungen existieren.
Welche Relevanz haben Berlin und Deutschland für Ihre Arbeit?
Meine Zeit in Deutschland gibt mir die Möglichkeit, mich aus erster Hand mit den Ansichten der von mir genannten Stakeholder auseinanderzusetzen. Ich weiß, dass es in Berlin viele Klima-Aktivist:innen gibt, einige davon aus Ländern des globalen Südens. Das eröffnet mir die Chance, die Spannungen und Gemeinsamkeiten zwischen Nord und Süd zu erkunden, wie sie im europäischen Kontext auftreten. Die OECD hat sich an die Spitze der Befürworter einer Wohlfahrtsökonomie gesetzt, die das derzeitige wachstumsorientierte Paradigma ersetzen soll. Ich möchte untersuchen, wie die Klima-Aktivist:innen diesen Paradigmenwechsel in Bezug auf Europa und die Länder des globalen Südens sehen. Die deutsche Entwicklungshilfe war in der Region Südasien, auf die sich meine Forschung konzentriert, sehr aktiv. Ich interessiere mich dafür, wie die deutsche Entwicklungshilfe „grüner“ wird und welchen Stellenwert sie der Gender-Frage bei diesen Bemühungen einräumt.
Quarterly Perspectives
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