Die strategische Bedeutung Moldaus

September 2024

Russlands hybrider Krieg verschärft sich vor der entscheidenden Abstimmung

von Natalia Gavrilita

Die strategische Bedeutung Moldaus - Natalia

Mit den für den 20. Oktober angesetzten Präsidentschaftswahlen und dem Referendum über den Beitritt zur Europäischen Union nähert sich die Republik Moldau einem entscheidenden Moment in ihrer Geschichte und befindet sich im Epizentrum von Russlands zunehmend aggressiver hybrider Kriegsführung. Der Ausgang der Wahlen wird nicht nur über die geopolitische Ausrichtung Moldaus entscheiden, nämlich ob das Land seinen prowestlichen Kurs fortsetzt oder sich Russland annähert, sondern das Wahlergebnis wird auch die Zukunft Europas beeinflussen.

Die verstärkten Aktivitäten Russlands in Moldau zeigen die Schlüsselrolle, die das Land in Moskaus größerer geopolitischer Strategie einnimmt. Durch die Aufrechterhaltung seines Einflusses in der Republik Moldau will Russland sein Standbein in Osteuropa stärken und Druck auf die Ukraine ausüben. Dies geht über die regionale Kontrolle hinaus; es ist eine Demonstration Russlands globaler Ambitionen. Gelingt es Russland, Einfluss auf das Land zu nehmen, würde das Russlands Fähigkeit demonstrieren, Macht weit über seine Grenzen hinaus zu projizieren, den Westen zurückzudrängen und die Vorherrschaft in einem Bereich zu behaupten, den es als seine rechtmäßige Einflusssphäre betrachtet.

Bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Moldau verfolgt Russland die Strategie, mehrere Kandidat:innen zu unterstützen, um die pro-europäische Amtsinhaberin und Spitzenkandidatin, Präsidentin Maia Sandu, anzugreifen. Dieser Ansatz zielt darauf ab, die politische Landschaft zu fragmentieren und möglicherweise eine Stichwahl zu erzwingen, die den Interessen Moskaus zugutekommen könnte. Gegenwärtig kandidieren zwölf Kandidat:innen gegen Sandu, von denen Berichten zufolge viele Unterstützung aus Russland erhalten – durch gerichtlich verurteilte bzw. unter Sanktionen stehende, flüchtige Oligarchen wie Ilan Shor. Alle Kandidat:innen attackieren aus unterschiedlichen Positionen nicht nur die Präsidentin, sondern auch den pro-europäischen Weg, den sie vertritt. Diese Taktik betrifft nicht nur die aktuelle Wahl, sondern ist Teil einer umfassenderen Strategie, die sowohl auf das EU-Beitrittsreferendum als auch auf die Parlamentswahlen 2025 abzielt. Indem Russland jetzt eine Spaltung der Wählerschaft fördert, hofft es, den Weg für ein moskaufreundlicheres Parlament in der Zukunft zu ebnen, was den geopolitischen Kurs Moldaus verändern könnte.

Russland verschärft seine Desinformationskampagne auf Social Media

Russlands Taktik des hybriden Krieges in der Republik Moldau hat sich in den letzten Monaten erheblich verschärft und ein ausgeklügeltes, vielschichtiges Konzept zur Beeinflussung der bevorstehenden Wahl offenbart. Im Mittelpunkt dieser Strategie steht eine breit angelegte Desinformationskampagne, um die moldauischen Medien und sozialen Netzwerke wie eine Flut zu überschwemmen. Dabei werden falsche Darstellungen über die EU, die NATO und die derzeitige prowestliche Regierung verbreitet, um Zweifel an den europäischen Ambitionen Moldaus zu wecken und Angst vor engeren Beziehungen zum Westen zu schüren.

Die Desinformationskampagne reicht bis in die höchsten Ebenen der russischen Regierung. So zog die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, in einem Interview[1] Anfang September hetzerische Vergleiche zwischen der Politik von Präsidentin Maia Sandu und der des Dritten Reiches. Zakharova beschuldigte Sandu auch, ein vom Westen unterstütztes sogenanntes „Ukraine-Szenario“ in der Republik Moldau umzusetzen, was den aggressiven Charakter von Russlands narrativer Kriegsführung weiter verdeutlicht.

Am alarmierendsten ist vielleicht, dass es glaubwürdige Berichte über illegale Finanzmittel gibt, die in die Kampagnen mehrerer Marionettenkandidat:innen geflossen sind. Diese moskaufreundlichen Persönlichkeiten geben sich zwar als unabhängige Stimmen aus, scheinen aber ihre Bemühungen zu koordinieren, um die pro-europäische Wählerschaft aufzuspalten und so möglicherweise eine Stichwahl zu erzwingen, die eine mit Russland verbündete Kandidatin oder Kandidaten begünstigen könnte. Das Ausmaß und die Raffinesse dieser finanziellen Einmischung lassen auf einen gut organisierten Versuch schließen, den demokratischen Prozess in Moldau zu manipulieren. Nach Schätzungen des moldauischen Sicherheitsdienst hat Russland bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr über 55 Millionen Dollar[2] ausgegeben, und diese Zahlen sind nun vor der bedeutenden Präsidentschaftswahl wahrscheinlich noch gestiegen.

Auch die Bestechung von Wähler:innen, eine in der Region nicht unübliche Taktik, hat zugenommen. Es gibt Berichte darüber, dass sozial schwachen, unterstützungsbedürftigen Bürger:innen, insbesondere in ländlichen Gebieten, Geld oder Sachleistungen im Austausch für ihre Stimme angeboten wurden. Im April beschlagnahmten die moldauischen Behörden über eine Million Euro[3] von Moldauer:innen, die aus Moskau zurückkehrten. Dort hatten sie kurz zuvor an der Gründung des neuen politischen Blocks „Victory“ unter Führung von Shor teilgenommen[4]. Darüber hinaus ergab eine kürzlich durchgeführte journalistische Recherche[5], dass eine Gruppe moldauischer orthodoxer Priester auf Einladung von Shor nach Moskau gereist war. Dort erhielten sie MIR-Bankkarten – ein russisches Kartenzahlungssystem für elektronische Geldtransfers, das von der Zentralbank Russlands eingerichtet wurde -, die mit so genannter „Hilfe für die Kirche“ aufgeladen waren.

Moldaus wichtige Pufferfunktion zwischen Russland und dem Westen

Diese aggressiven Taktiken der hybriden Kriegsführung müssen im weiteren Kontext der strategischen Bedeutung Moldaus für Russland gesehen werden. Zwischen Rumänien und der Ukraine gelegen, dient Moldau als wichtige Pufferzone zwischen Russland und dem Westen. Zusammen mit Belarus, das im Norden der Ukraine fest in Russlands Orbit liegt, würde eine potenzielle Kontrolle oder ein bedeutender Einfluss auf die Republik Moldau im Südwesten der Ukraine es Russland ermöglichen, die Ukraine von zwei Seiten unter Druck zu setzen. Eine solche geopolitische Konfiguration würde Russlands Fähigkeit erheblich verstärken, die Sicherheit und Souveränität der Ukraine zu beeinflussen oder potenziell zu bedrohen.

Die abtrünnige moldauische Region Transnistrien, in der russische Truppen stationiert sind, ist ein weiterer komplexer Faktor. Sie dient als Stützpunkt für den russischen Einfluss und bietet eine militärische Präsenz in der Nähe der ukrainischen Westgrenze sowie eine potenzielle Ausgangsbasis für weitere Destabilisierungsbemühungen.

Diese strategische Positionierung würde nicht nur Druck auf die Ukraine ausüben, sondern auch Russlands Reichweite in Richtung Mitteleuropa ausdehnen und einen durchgehenden Einflusskorridor von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer ziehen. Diese Positionierung würde die Bemühungen der NATO und der EU um eine Zusammenarbeit mit Ländern in dieser Region erschweren und Russlands Position als dominierender Akteur in Osteuropa stärken.

Die bevorstehenden Wahlen und das EU-Referendum stellen für die Republik Moldau eine kritische Wegstelle dar. Ein Schritt in Richtung einer engeren EU-Integration wäre ein bedeutender Schlag gegen die regionalen Ambitionen Russlands und könnte andere ehemalige Sowjetrepubliken dazu veranlassen, diesem Beispiel zu folgen. Umgekehrt würde eine Hinwendung zu Russland den Einfluss Moskaus in der Region festigen und den westlichen Bemühungen zur Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Osteuropa einen Rückschlag versetzen.

Digitale Bedrohungen und die Diaspora: Moldaus Wahlfront

Der Einfluss der sozialen Medien auf die Präsidentschaftswahlen in Moldau, insbesondere von Social-Media-Konten, die flüchtigen Oligarch:innen mit Verbindungen nach Russland zugeschrieben werden, erfordert ständige Wachsamkeit. Während des Besuchs von US-Außenminister Blinken in Moldau im Juni löschte Meta über 1.326 Facebook-Konten sowie 80 Seiten und Gruppen[6], die mit Shor in Verbindung stehen, was das Ausmaß des Problems verdeutlicht. Und diese Bedrohung besteht weiterhin: Ein kürzlich veröffentlichter Bericht der Nichtregierungsorganisation „Watchdog“[7] zeigte, dass von Russland finanzierte Oligarch:innen in nur drei Monaten über 130.000 Euro für gesponserte Inhalte ausgaben. Dies unterstreicht die dringende Notwendigkeit einer kontinuierlichen Überwachung, eines raschen Vorgehens gegen bösartige Konten und einer Aufklärung der Öffentlichkeit über digitale Manipulation. Mit dem Näherkommen der Wahlen müssen die Social-Media-Plattformen die Verantwortung für das Identifizieren und die Entfernung bösartiger Inhalte übernehmen, während die moldauischen Behörden und internationalen Partner Unterstützung anbieten und eine Aufsichtsfunktion wahrnehmen sollten, um die Integrität von Online-Medien und somit auch des Wahlprozesses zu gewährleisten.

Die moldauische Diaspora, insbesondere die in Deutschland und anderen europäischen Ländern, spielt in dieser Wahllandschaft eine entscheidende Rolle. In der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen 2020 machten die Wähler:innen im Ausland fast 16 Prozent der Gesamtstimmen aus. In der Vergangenheit war die Diaspora mit überwältigender Mehrheit pro-europäisch eingestellt und bildete oft ein entscheidendes Gegengewicht zu den eher nach Russland tendierenden Wählergruppen im Inland. Allerdings ist die Enttäuschung über das schleppende Tempo der Reformen in der Republik Moldau bei vielen Auswander:innen deutlich spürbar. Diese Enttäuschung könnte zu einer niedrigeren Wahlbeteiligung führen, ein Szenario, das zweifellos den pro-russischen Kandidat:innen zugutekäme. Es ist daher unerlässlich, dass Menschen in der Diaspora die Wichtigkeit dieser besonderen Wahl erkennen.

Bei ihrer Teilnahme an der Wahl geht es nicht nur darum, bestimmte Kandidat:innen oder eine bestimmte Partei zu unterstützen, sondern auch darum, den europäischen Weg der Republik Moldau in einer Zeit zu schützen, in der er in nie dagewesener Weise bedroht ist. Die Stimme der Diaspora kann als Bollwerk gegen russische Einmischung und als Katalysator für weitere demokratische Reformen dienen. Die Moldauer:innen im Ausland sollten ermutigt werden, aktiv zu werden, ihre Communities in Städten in ganz Europa zu mobilisieren und ihrer Stimme Gehör zu verschaffen. Durch ihre hohe Wahlbeteiligung können sie ein deutliches Zeichen für die künftige Ausrichtung der Republik Moldau setzen und dazu beitragen, den Auswirkungen von Wahlmanipulation und Desinformation im Inland entgegenzuwirken. Im Kern könnte das Engagement der Diaspora der entscheidende Faktor für den Schutz der demokratischen Institutionen Moldaus und seines Strebens nach europäischer Integration sein.

Da der Wahltag nun näher rückt, muss die internationale Gemeinschaft wachsam und engagiert bleiben. Es ist von entscheidender Bedeutung, die Bemühungen der Republik Moldau zur Bekämpfung von Desinformation, zur Gewährleistung der Integrität der Wahlen und zur Sicherung der demokratischen Prozesse zu unterstützen. Das Ergebnis dieser Wahl wird sich weit über die Grenzen Moldaus hinaus auswirken und möglicherweise die Zukunft der europäischen Sicherheit und des Machtgleichgewichts zwischen Ost und West beeinflussen.

In dieser geopolitischen Schachpartie, bei der viel auf dem Spiel steht, mag die Republik Moldau wie eine unbedeutende Figur erscheinen. Doch ihre strategische Bedeutung sollte nicht unterschätzt werden. Die Verschärfung der russischen Taktik des hybriden Krieges im Vorfeld der Wahl am 20. Oktober ist ein deutlicher Hinweis darauf, wie hoch der Einsatz ist.

Wenn sich die Moldauer:innen darauf vorbereiten, ihre Stimme abzugeben, tun sie dies nicht nur für ihre eigene Zukunft, sondern für die Zukunft der gesamten Region.


[1]https://www.youtube.com/watch?v=bHcfEFA-eyg

[2]https://kyivindependent.com/moldovas-security-chief-says-russia-spent-55-million-on-destabilization-campaign/

[3]https://balkaninsight.com/2024/04/24/moldova-prosecutors-send-crime-file-on-gagauzia-governor-to-court/

[4] https://balkaninsight.com/2024/04/22/moldovan-fugitive-oligarch-launches-new-anti-eu-bloc-in-moscow/

[5]https://www.ipn.md/en/metropolitan-church-of-moldova-moldovan-priests-pilgrimages-to-moscow-are-7967_1107039.html

[6]https://www.euractiv.com/section/europe-s-east/news/moldovas-fugitive-oligarchs-keep-spending-money-on-social-media-platforms-despite-sanctions/

[7]https://www.ipn.md/en/shor-platon-spend-136000-euros-on-facebook-ads-in-7965_1106782.html

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