Über das Leben und Blackness in Berlin
Von Berlin wird gesagt, dass die Stadt international, kosmopolitisch, vielfältig ist. Aber wer hat ein Recht auf die Stadt? Ein Meinungsbeitrag von Akwugo Emejulu.
Niemand erzählt Dir das vorher, aber in Berlin zu leben, verleiht Dir ungewünschte Superkräfte. Wenn ich durch Mitte oder Prenzlauer Berg gehe, probiere ich sie aus.
Eine Passantin klammert sich demonstrativ an ihre Tasche und wirft mir einen zornigen Blick zu, als ich an ihr vorbeigehe. Dann wechselt sie zügig die Straßenseite und setzt ein höhnisches Lächeln auf. Regelmäßig ertappe ich mich dabei, dass ich mit anderen Fußgänger:innen das „Angsthasenspiel“ spiele: Wenn wir aufeinander zugehen und uns gegenseitig im Weg sind, wer macht dann Platz, damit wir uns den Bürgersteig teilen können? Ich bin gespannt, wie das Spiel ausgeht, obwohl ich das Ergebnis schon kenne. Aus Prinzip weigere ich mich fast immer, den Vorrang zu gewähren, es sei denn, es handelt sich um ältere oder behinderte Menschen. Und warum? Weil von mir erwartet wird, ja sogar verlangt wird, dass ich zurückweiche, mich verziehe und aus dem Weg gehe. So passiert das, was immer passiert: Wir rempeln uns an, und ich gehe weiter und lebe mein Leben.
Dieses „Spiel“ ist Schwarzen Berliner:innen vertraut. Eine meiner Freund:innen erzählte mir, dass sie als Kind diesen Begegnungen einen Namen gab: Frau Arroganz. Sie versuchte, dem Rassismus, dem sie auf der Straße begegnete, bevor sie die Begriffe kannte, um ihn zu benennen – einen Rassismus, der ihr auf den Fuß trat, sie aus dem Weg schob und sie anrempelte – durch eine Mutprobe einen Sinn zu geben. Sie weigerte sich, auszuweichen und unsichtbar zu sein. Diese Zusammenstöße enthalten einen Widerspruch. Sie legen eine Macht offen, die Schwarze Menschen ungefragt erhalten haben und die sie sich nicht wünschen: Wir sind auf den Straßen Berlins sowohl unsichtbar als auch hypersichtbar. Wir sind also gleichzeitig eine sichtbare Bedrohung für das unterstellte Weißsein des öffentlichen Raums und ein unsichtbares Objekt, das ignoriert und missachtet wird.
Sie glauben mir nicht? Sie denken, ich bin zu empfindlich? Bin ich vielleicht sogar ein schlechter Gast während meiner kurzen Zeit in Berlin? Auch das ist eine Superkraft – oder vielmehr, wie Kassandra zu ihrem Leidwesen feststellen musste, ein Fluch: Wir sagen die Wahrheit, doch das wird bezweifelt – uns wird nicht geglaubt.
Dieser Widerspruch zwischen Unsichtbarkeit und Hypersichtbarkeit offenbart sich durch Blicke. Mich fasziniert das offene und unverhohlene Anstarren von Männern, Frauen und Kindern. Sicher, ich bin ziemlich hübsch, doch seien wir ehrlich: Ich bin nicht jedermanns Sache. Das Anstarren hat eine Bedeutung. Es ist auch eine Art Kollision – ein politischer Akt, der durch das Visuelle und das Imaginäre in Gang gesetzt wird. Wenn ich in der Straßenbahn, in der U-Bahn, in einem Café oder in einem Restaurant angestarrt werde, starre ich immer so lange zurück, bis die andere Person wegschaut. Diese Handlung des Widerstands, den Blick zu erwidern und jemanden anzustarren, der oder die einen zwar ansieht, aber nicht wirklich sehen kann, ist eine häufige Reaktion Schwarzer Berliner, wie ich festgestellt habe. Ich lebe mein Leben weiter, aber ein wenig verunsichert und unbehaglich - was natürlich der ursprüngliche Zweck des Anstarrens war.
Wie kann das sein? Berlin, so sagt man mir ständig, ist so vielfältig! So international! So kosmopolitisch! Hier sprechen alle Englisch! Sicher, Berlin ist voll von Menschen aus aller Welt. Aber natürlich gehört nicht jeder überall dazu in Berlin – vor allem, wenn dein Pass die falsche Farbe hat oder dein rechtlicher Status fragwürdig ist.
In dieser Hinsicht ist Berlin wie jeder andere Ort in Deutschland – wenn auch unehrlicher in seiner Selbstmythologisierung. Darum geht es bei diesen Zusammenstößen, sowohl physisch als auch visuell. Sie sind eine Erinnerung, eine Warnung, sie lautet: Ich gehöre nicht dazu. Und das ist seltsam, weil ich nur eine vorübergehende Besucherin bin, die schlecht Deutsch spricht. Ich bin für sechs Monate mit einem Stipendium in Berlin. Ich bin eine US-amerikanische Akademikerin, aber ich habe 20 Jahre lang in Schottland gelebt. Ich kenne Berlin sehr gut. Ich besuche die Stadt seit mehr als 15 Jahren. Ich gebe nicht vor, dazuzugehören, aber ich habe trotz dieser brutalen Zusammenstöße Räume der Zugehörigkeit, kleine Nischen der Heimat gefunden.
Es ist auch interessant, wie Englisch in der Stadt funktioniert. Einerseits ist es ein Zeichen für die Andersartigkeit Berlins, einer der vielen Punkte, in denen es sich vom Rest Deutschlands unterscheidet. Andererseits wird die Sprache ständig als Waffe eingesetzt. Wenn ich mit meinen Schwarzen deutschen Freunden in einer Bar, in einer Galerie oder in einem Restaurant bin, fällt mir immer wieder auf, wie automatisch Englisch mit ihnen gesprochen wird. Sie antworten in der Regel auf Deutsch und zwingen das Gespräch ins Deutsche, um ihre Zugehörigkeit zum Ort und zur Stadt zu zeigen und einzufordern. Ein weiteres Aufeinanderprallen, dieses Mal der Muttersprachen, die die Linien zwischen Zugehörigkeit und Ausgrenzung in Berlin markieren.
Diese Erfahrungen, von denen ich hier berichte, entscheiden nicht gerade über Leben oder Tod, aber sie setzen Bedingungen für mein Leben hier. Diese Zusammenstöße zeigen mir, was hier möglich ist und wie das Leben Schwarzer Menschen aussehen soll.
Nichts davon ist neu. Vor genau 70 Jahren veröffentlichte Ralph Ellison einen der großen Romane, in dem es unter anderem um das schwarze Leben in der Großstadt geht. In Der unsichtbare Mann stellt Ellisons namenloser Protagonist bekanntermaßen fest „Ich bin ein Mensch aus Substanz, aus Fleisch und Knochen, aus Fasern und Flüssigkeiten – ja, man könnte vielleicht sogar sagen, dass ich einen Verstand besitze. Ich bin unsichtbar, verstehen Sie, weil sich die Leute weigern, mich zu sehen. Es ist, als wäre ich von Zerrspiegeln aus hartem Glas umgeben, so wie die körperlosen Köpfe, die man mitunter auf Jahrmärkten sieht. Wer sich mir nähert, sieht nur meine Umgebung, sich selbst oder die Auswüchse seiner Phantasie – in der Tat alles und jedes, nur mich nicht.“ Die Weigerung, mich zu sehen und die Projektionen ihrer Ängste und Wünsche auf mich und andere Schwarze Menschen in der Stadt sind der Grund für diese Zusammenstöße.
Was ist zu tun? Können wir überhaupt etwas tun? Das ist auch eine Superkraft, wenn Menschen nach Lösungen für Probleme gefragt werden, die sie nicht selbst verursacht haben.
Ehrlich gesagt, gibt es keine wirkliche Lösung, denn es geht um das Leben in und die Zugehörigkeit zu Berlin. Diese Zusammenstöße müssen in den breiteren Kontext der Dynamik des Lebens in Berlin gestellt werden. Es geht darum, wie die Stadt nach dem Mauerfall für den Komfort und die Sicherheit einiger weniger auf Kosten anderer gebaut wurde. Mieter werden aus ihren Wohnungen und aus ganzen Vierteln verdrängt. Migrantenrechtsaktivist:innen, die gegen Abschiebungen protestieren und angesichts staatlicher Gewalt Räume der Zugehörigkeit einfordern. Die Kämpfe um die deutsche Erinnerungskultur – um die Frage, woran und an wen erinnert werden soll und warum. All diese Konflikte sagen uns etwas über das Selbstverständnis Berlins und weisen uns einen Weg, um neu darüber nachzudenken, wer ein Recht auf die Stadt hat und worin sich das Wesen einer Stadt offenbart, wenn wir durch sie reisen – wie wir uns begegnen und was wir aus diesen sich überschneidenden Leben, Träumen, Ängsten und Erinnerungen lernen.
Dieser Beitrag erschien in gekürzter Fassung am 14.12.2022 auch in der taz.
Akwugo Emejulu ist Professorin für Soziologie an der University of Warwick und Richard von Weizsäcker Fellow an der Robert Bosch Academy in Berlin. Sie kommt seit mehr als 15 Jahren regelmäßig nach Berlin und kennt die Stadt sehr gut.
Quarterly Perspectives
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