Vorgestellt: Akwugo Emejulu
Akwugo Emejulu ist Expertin für politische Soziologie und erforscht das Zusammenspiel von ethnischer Zugehörigkeit, sozioökonomischem Hintergrund und Geschlecht.
Woran arbeiten Sie als Fellow der Robert Bosch Academy?
An der Academy möchte ich mein Verständnis dafür erweitern und vertiefen, wie Grassroots-Aktivist:innen, insbesondere Women of Color, in Berlin intersektionale Solidarität praktizieren. Solidarität ist die emotionale Verbindung und die politische Praxis, die Aktivist:innen zusammenhält, damit sie sich gemeinsam für Veränderungen einsetzen können. Solidarität zu entwickeln und aufrechtzuerhalten ist eine der schwierigsten Herausforderungen, denen sich Aktivist:innen aufgrund der ungleichen Machtdynamik, die zwischen ihnen besteht, stellen müssen. Ich möchte herausfinden, ob und wie es für Aktivist:innen möglich ist, diese Konflikte zu lösen, selbst wenn sie nur vorübergehend sind, um zusammenzuarbeiten und radikale soziale Veränderungen zu erreichen.
In den vergangenen 15 Jahren habe ich mich mit dem Aktivismus von Women of Color in Europa beschäftigt. Die Hindernisse, denen sie sich gegenübersehen, wenn sie versuchen, für ihre Interessen zu mobilisieren und sich zu organisieren, sind gut dokumentiert. Sie müssen sich nicht nur mit Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Sexismus, Klassismus, Homophobie und Ableismus in der Gesellschaft insgesamt auseinandersetzen, sondern auch in ihren Gruppen von Aktiven. Viele Aktivist:innen of Color erleben diese vermeintlich radikalen Gruppen als zutiefst entfremdend und ausgrenzend. Worüber wir nicht so viel wissen, sind erfolgreiche Modelle intersektionaler Solidarität. Während meiner Zeit in der Stadt möchte ich solche bewährten Praktiken untersuchen und dokumentieren und sie mit anderen Aktivist:innen auf dem ganzen Kontinent teilen, um diese in ihrer wichtigen Arbeit für Gleichheit und Gerechtigkeit zu unterstützen.
Was sind die wichtigsten Themen in Ihrem Bereich?
Ich bin eine politische Soziologin, die soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten und Grassroots-Aktivismus untersucht. Daher gibt es eine Reihe miteinander verbundener Themen, die sich direkt auf meine Arbeit auswirken. Erstens sind Sparmaßnahmen – Steuererhöhungen, Kürzungen der öffentlichen Ausgaben, Privatisierung und Kommerzialisierung öffentlicher Dienstleistungen – für meine Arbeit von entscheidender Bedeutung, auch wenn diese Maßnahmen nicht mehr die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, die sie früher hatten. Der fortschreitende Abbau der europäischen Wohlfahrtsstaaten und die Zunahme von prekären Lebensverhältnissen und Unsicherheit sind ein oft übersehener, belebender Faktor für den Aktivismus von Women of Color.
Damit verbunden ist die europäische Grenz- und Polizeipolitik. Illegale Push-Backs im Mittelmeer, die Inhaftierung, Verelendung und Abschiebung von Migrant:innen und die übermäßige Überwachung von People of Color auf Europas Straßen sind allesamt Teil der alltäglichen Gewalt, gegen die Aktivist:innen mobil machen. Schließlich hat die extreme Rechte in Europa sowohl die Wirtschaftskrise als auch die so genannte Flüchtlingskrise geschickt ausgenutzt, um bemerkenswerte Wahlerfolge zu erzielen und ihre Sprache in die Mainstream-Diskurse einzubringen und dort zu legitimieren. Am meisten interessiert mich zu verstehen, wie diese Krisen sich überschneiden und aufeinander wirken und wie sie ihrerseits den Aktivismus von Women of Color beeinflussen.
Wie wirken sich die aktuellen globalen Krisen wie die Wirtschaftskrise, die so genannte Flüchtlingskrise und der Siegeszug der extremen Rechten auf den gesellschaftlichen Aktivismus von Women of Color aus?
Aktivist:innen sind mit einer vielschichtigen Krise konfrontiert, für die es keine ausreichenden Ressourcen und Unterstützung gibt. Viele Aktivist:innen leben unter prekären Bedingungen, sind dem Grenzregime unterworfen und müssen inmitten rechtsextremer Gewalt um ihre Sicherheit fürchten. Und doch sehen wir Aktivist:innen, die sich organisieren, um eine andere Welt aufzubauen. Von Gruppen für gegenseitige Hilfe, die das tägliche Überleben unterstützen, über Abolitionist:innen, die sich für die Abschaffung des Gefängnisstaates einsetzen, bis hin zu QTPOC-Clubnächten (queer, trans, und People of Color), die Freude auf die Tanzfläche bringen. Selbst inmitten von Katastrophen sehen wir, wie Aktivist:innen eine Gemeinschaft aufbauen, tiefe Liebe und Verbundenheit miteinander entwickeln und sich weigern, die Welt so zu akzeptieren, wie sie ist. Wenn man über die emotionale Arbeit nachdenkt, die Aktivist:innen leisten, wenn sie sich weigern, isoliert, zum Schweigen gebracht und desillusioniert zu werden, ist das eine sehr kraftvolle Art, die Solidaritätspolitik von Women of Color zu interpretieren.
Welche Erkenntnisse für Ihre Arbeit erhoffen Sie sich von Ihrem Fellowship?
Ich hoffe, die Möglichkeiten für eine erfolgreiche intersektionale Solidaritätsarbeit besser zu verstehen. Ich möchte untersuchen, wie Gruppen die Arbeit über Rasse, Klasse, Geschlecht, Sexualität, Behinderung und Rechtsstatus hinweg bewältigen. Ich möchte auch die Themen erforschen, die die Gruppen zu Aktionen mobilisieren, sowie die Organisationsformen dieser Gruppen, ihre Entscheidungsprozesse und wie Aktivist:innen mit Erfolg und Misserfolg umgehen. Ich möchte auch die Beziehungen zwischen Aktivist:innen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und politischen Entscheidungsträgern verstehen und wie die Solidarität zwischen diesen verschiedenen Agierenden mit sehr unterschiedlichen Zielen und Interessen funktioniert.
Was macht Berlin und Deutschland so wichtig für Ihre Arbeit?
Berlin hat eine lange und inspirierende Geschichte des schwarzen feministischen Aktivismus. Audre Lorde, May Ayim, Katharina Oguntoye, Ika Hügel-Marshall und ihre Mitstreiter:innen, die Organisationen wie die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland und Schwarze Frauen in Deutschland (ADEFRA) gründeten und in ihnen arbeiteten, sind grundlegend für das Verständnis der afro-deutschen Erfahrung, aber auch des Schwarzen Feminismus in Europa im weiteren Sinne. Es gibt jüngere Aktivist:innen und neuere Organisationen wie Women in Exile und International Women's Space, die dieses Erbe aufnehmen, aber durch ihre bahnbrechende politische Arbeit gegen Grenzregime auch ihre eigene Geschichte schreiben. Von ihnen und von ihrer Arbeit gibt es viel zu lernen.
Quarterly Perspectives
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