Vorgestellt: Rana Dajani
Rana Dajani ist Molekularbiologin und Sozialunternehmerin. Sie ist die Gründerin von We Love Reading, einer Basisinitiative, die zum Ziel hat, in unterversorgten Gemeinden „Changemaker“ durch die Förderung einer lebenslangen Liebe zum Lesen hervorzubringen. Während ihres Fellowships untersucht sie Muster zwischen Gesellschaft und Biologie.
Woran arbeiten Sie als Fellow der Robert Bosch Academy?
Ich untersuche die deutsche Gesellschaft an den Schnittstellen ihrer Komplexität, also dort wo es Spannungen gibt. Ich möchte verstehen, wie die Deutschen im Laufe der Zeit mit dieser Komplexität umgegangen sind. Dazu führe ich Interviews mit Menschen aus allen Bereichen der Gesellschaft. Anschließend reflektiere ich diese Perspektiven und nutze sie, um andere Sichtweisen zu hinterfragen.
Mein zugrunde liegendes Ziel ist es, Muster im Umgang mit Spannungen und Komplexität zu identifizieren, die ein Licht auf das Verständnis bisher ungeklärter oder nicht verstandener biologischer Mechanismen/Phänomene auf zellulärer und molekularer Ebene werfen können. Ich glaube, dass biologische Mechanismen Hinweise darauf geben können, wie komplexe gesellschaftliche Herausforderungen anzugehen und zu bewältigen sind. Grundlage dieses Ansatzes ist die Evolutionsbiologie von der molekularen Ebene bis hin zur gesellschaftlichen Ebene.
Was sind die wichtigen Themen in Ihrem Arbeitsfeld?
Die Biologie ist komplex. Es gibt so viele zelluläre und molekulare Mechanismen, die wir noch nicht verstehen. Ich schlage vor, dass wir versuchen, gesellschaftliche Muster zu erkennen, die Aufschluss über biologische Mechanismen geben können, und andersherum. Richtig verstandene biologische Mechanismen können helfen, gesellschaftliche Herausforderungen zu verstehen und vielleicht sogar zu lösen.
Wo sehen Sie Ähnlichkeiten und Muster zwischen gesellschaftlichen und biologischen Mechanismen? Wie bringen Sie diese Muster zusammen?
Hier geht es um die Erkennung und Modellierung von Mustern, die dann aufeinander projiziert werden und sich überlagern, um zu sehen, welche Ergebnisse wir vorhersagen können und welche Bedeutung sie sowohl in der Biologie als auch in der Gesellschaft haben.
Wenn sich beispielsweise mehrere doppelte Chromosomenpaare während der Zellteilung trennen, um zwei neue Zellen zu bilden, werden die einzelnen verdoppelten Chromosomen aus jedem Paar voneinander weggezogen – dort, wo das Paar miteinander verbunden ist, und nicht am Pol. Das geschieht eher dezentral als zentral, um den geringsten Verlust zu gewährleisten. Denn wenn sich ein Paar aus irgendeinem Grund nicht trennt, werden sich die übrigen Paare dennoch trennen und nicht verloren gehen.
Ein weiteres Beispiel ist das Konzept von Einheit und Vielfalt in der Biologie. Die DNA ist das Molekül, das den Bauplan für alles Leben in seiner ganzen Vielfalt darstellt. Sie besteht aus vier Einheiten, die in langen Sequenzen angeordnet sind. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Arten und den Individuen innerhalb einer Art bestehen darin, wie die DNA-Einheiten angeordnet sind. Was können wir von diesem Gleichgewicht in der Natur lernen, um das Gleichgewicht zwischen global und lokal, gleichmäßiger und spezifischer Ausprägung, Einheit und Vielfalt zu verstehen? Wir können viel von der DNA und ihrer Form der Vielfalt lernen. Wenn wir eine gesellschaftliche Bewegung ins Leben rufen und die Vielfalt in den Mittelpunkt stellen wollen, müssen wir verstehen und uns damit auseinandersetzen, wie wir Beständigkeit und Kohärenz erreichen können. Denn wenn wir zu sehr auf Kohärenz setzen, verlieren wir die Vielfalt. Was können wir von der Natur darüber lernen, wie wir dieses Gleichgewicht erreichen können? Sind die Referenzrahmen, die wir zur Lösung dieses Problems verwenden, selbst die Ursache für die Herausforderungen, die sich uns stellen? Vielleicht können wir sie durch das Studium der Natur identifizieren.
Welche Erkenntnisse für Ihre Arbeit erhoffen Sie sich von Ihrem Stipendium?
Während meines Stipendiums will ich soziale Muster in der deutschen Gesellschaft identifizieren, die Informationen für die Biologie liefern können und vice versa. Dazu werde ich mir Momente in der deutschen Geschichte und Gegenwart ansehen, die die Gesellschaft und den sozialen Zusammenhalt beeinflussen. So werde ich beispielsweise die Aussöhnung zwischen Ost- und Westdeutschland und die Reaktion auf die Flüchtlings- und Migrationskrise der letzten Jahre im Vergleich zu anderen europäischen Ländern untersuchen. Ein weiterer interessanter Punkt ist die Reaktion der deutschen Gesellschaft auf die Energieknappheit seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine.
Was macht Berlin und Deutschland relevant für Ihre Arbeit?
Die Komplexität der deutschen Gesellschaft macht Deutschland und Berlin zu sehr interessanten Orten. Generell bin ich fasziniert davon, neue Menschen kennenzulernen, um zu erfahren, wie sie die Welt sehen, wie sehr wir uns ähneln und wie sehr wir uns unterscheiden. Davon kann ich nie genug bekommen. Ich freue mich darauf, verschiedene Menschen in aller Welt kennenzulernen. Es gibt acht Milliarden Menschen auf dieser Erde. Jeder von ihnen ist einzigartig. Toll! Es ist wie ein nicht enden wollendes Abenteuer, neue, erstaunliche, wunderbare, zum Nachdenken anregende
Menschen zu treffen – um von ihnen zu lernen, sich mit ihnen auszutauschen, mit ihnen in Kontakt zu kommen, gemeinsam zu lachen und zu weinen. Wir können unsere Menschlichkeit finden, auch wenn wir unterschiedlicher Meinung sind. Das ist etwas, worauf ich mich jeden Tag meines Lebens freue. Es ist derselbe Nervenkitzel, den man in einer Achterbahn erlebt.
Hören Sie sich auch die Folge unseres Podcasts “Think. Debate. Inspire” mit Rana Dajani und Dennis Shirley an, in dem beide über verschiedene Aspekte der Bildung sowie die Verbindung zwischen Lesen, Identität und Wohlbefinden sprechen.
Quarterly Perspectives
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