Die Scholz-Regierung braucht eine Afrika-Strategie
Deutschland muss zunächst seine eigenen strategischen Interessen in Bezug auf Afrika definieren, um effektiv mit den afrikanischen Ländern zusammenarbeiten zu können. Die neuformulierte Afrika-Strategie des BMZ schlägt einen progressiven Ton an, greift aber zu kurz.
von Dr. Olumide Abimbola
Deutschland muss eine Afrikastrategie formulieren, die seine eigenen außenpolitischen Interessen und Ziele widerspiegelt. Die Strategie sollte sich darauf konzentrieren, dass die afrikanischen Länder Deutschland dabei helfen können, diese Ziele zu verwirklichen. Wenn Deutschland – und auch ganz Europa – will, dass seine Wirtschaft floriert, muss es sich die Unterstützung der afrikanischen Länder sichern. Dazu gehören auch Investitionen in die Industriepolitik ausgewählter afrikanischer Länder.
Betrachten wir zunächst, welchen Politikansatz die vorherige deutsche Regierung für Afrika gewählt hatte. Ein Schlüsseldokument dafür ist der „Marshallplan mit Afrika“ von 2017, die damalige Strategie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ). Das Dokument trägt die Handschrift eines von der Christlich-Sozialen Union (CSU) geführten Ministeriums, einer konservativen deutschen Partei, die fest an den freien Markt glaubt. Das Hauptaugenmerk lag auf der Frage, wie man mehr Investitionen aus dem Privatsektor nach Afrika bringen kann. Dies entsprach ganz allgemein der Verlagerung des Schwerpunkts von der öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA) auf Investitionen des Privatsektors oder doch zumindest einer anderen Denkweise darüber, wie ODA als Katalysator für private Investitionen genutzt werden kann. Der „Marshallplan mit Afrika“ wollte dieses neue Denken durch sogenannte Reformpartnerschaften mit einigen afrikanischen Ländern anstoßen. Diese Länder sollten mit Unterstützung des BMZ marktfreundliche Reformen durchführen. Der Gedanke dahinter war, dass diese Reformen dann zu mehr Investitionen seitens des Privatsektors führen würden.
Über das BMZ hinaus war die Förderung privater Investitionen in Afrika, um den afrikanischen Ländern zu helfen, so der vereinfachende Ansatz, auch die Afrika-Politik der letzten Merkel-Regierung (2017-2021). Dieselbe Regierung initiierte im Rahmen der deutschen G20-Präsidentschaft den vom Finanzministerium geführten Compact with Africa. Im selben Jahr, in dem der Marshallplan des BMZ veröffentlicht wurde, richtete die deutsche Regierung auch die erste G20-Afrika-Partnerschaftskonferenz aus.
Der Ton hat sich deutlich geändert
Im Jahr 2023 gibt es nun eine neue Afrika-Strategie des BMZ mit dem Titel „Shaping the future with Africa“. Diesmal handelt es sich jedoch nicht um einen Ansatz der Afrika-Politik der gesamten deutschen Bundesregierung, sondern lediglich um ein Konzept des BMZ. In Ermangelung einer neuen Gesamtausrichtung ist dieses Strategiepapier die zentrale Quelle für Afrika-Beobachter, um die Haltung der Scholz-Regierung gegenüber dem Kontinent zu verstehen. Es wäre problematisch, die Strategie der Entwicklungszusammen-arbeit als Position der gesamten Regierung zu interpretieren. Denn so zukunftsweisend eine solche Strategie auch sein mag, sie wird von einem Ministerium entworfen, dessen Kernauftrag es ist, Entwicklungsländer durch Entwicklungshilfe zu unterstützen. Die Afrikastrategie des BMZ sollte deshalb durch eine echte, ressortübergreifende Außenpolitik gegenüber Afrika ergänzt werden. Angesichts der geopolitisch turbulenten Zeiten, in denen wir leben, liegt es im Eigeninteresse Deutschlands, das zu tun. Afrika darf nicht nur durch die Brille der Entwicklungszusammenarbeit betrachtet werden – zumal das Entwicklungsbudget hoffnungslos begrenzt ist. Ein Anhaltspunkt: Nigerianer:innen, die im Ausland leben, schicken pro Jahr sechs Milliarden Euro mehr nach Hause als der gesamte BMZ-Haushalt 2023 beträgt.
Die neue Afrika-Strategie des BMZ ist angemessen selbstkritisch. Sie erkennt die Entwicklungen seit der Covid-19-Pandemie und die schwierige politische Lage der Welt im Allgemeinen sowie der afrikanischen Länder im Besonderen an, die durch Russlands Krieg in der Ukraine verursacht wird. Das Dokument verweist auch auf „Afrikas wachsendes Gewicht in der Welt“. Es scheint sich dabei eher um ein Bündel von Programmen zu handeln, die derzeit im Ministerium kursieren, als um eine neue, kohärente Strategie. Diese Programme scheinen auch an afrikanische Initiativen und Strategien anzuknüpfen. Die erste Absicht ist die Unterstützung der von der Afrikanischen Union (AU) und den afrikanischen Ländern festgelegten Ziele. Die Weiterentwicklung des Privatsektors, die in sechs allgemeine Bereiche unterteilt ist, wird zwar weiterhin unterstützt, ist aber nicht mehr der Eckpfeiler der Arbeit des Ministeriums. Themen wie Pandemievorsorge, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, Frieden und Sicherheit, Armutsbekämpfung und Gleichberechtigung der Geschlechter („feministische Entwicklungspolitik“) werden alle abgedeckt.
Da es sich um die Strategie eines Ministeriums für „wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ handelt, werden wirtschaftliche Gesichtspunkte in dem Dokument ausführlich behandelt. Dies ist auch das Thema, das auf der Tagesordnung der afrikanischen Regierungen steht. Unter dieser Überschrift werden die Unterstützung im Zusammenhang mit dem Klimawandel (vor allem durch die Förderung eines gerechten wirtschaftlichen Übergangs), die Unterstützung bei der Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen, die Unterstützung der Afrikanischen Kontinentalen Freihandelszone (AfCFTA), die Unterstützung einer entwicklungsfördernden Migration, die Unterstützung der Digitalisierung und verschiedene andere Formen der politischen und finanziellen Unterstützung, also ein wiederkehrendes Thema, zusammengefasst.
Darin liegt die Selbstbeschränkung von Deutschlands Beziehungen zu Afrika: Die schweren Brocken soll das Ministerium schultern, dessen Aufgabe es ist, zu helfen. Dies ist eine hoffnungslos eingeschränkte und für viele afrikanische Regierungen und afrikanische Interessengruppen sehr ermüdende Art des Engagements. Die Strategie formuliert eben nicht, was diese Unterstützung für Deutschland selbst bedeutet. Mit anderen Worten: Die deutschen Interessen werden von der Afrika-Strategie nicht klar definiert. Das ist natürlich weder ein Fehler der Strategie noch des Ministeriums. Die Strategie sollten vielmehr ein Teil eines größeren Puzzles sein. Deutschland kann und sollte Unterstützung leisten. Ein Beispiel: Der gesamte afrikanische Kontinent hat in der Vergangenheit viel weniger Kohlenstoff emittiert als Deutschland allein – der deutsche Reichtum basiert auf diesen Emissionen.Daraus resultieren Verpflichtungen Deutschlands, zum Beispiel im Rahmen des Pariser Abkommens, die auch eine Form der finanziellen Unterstützung beinhalten. Aber das kann nicht alles sein. Die derzeitige Regierung muss die strategischen Interessen Deutschlands definieren und sorgfältig kommunizieren, wo und wie sie mit den Interessen der afrikanischen Länder übereinstimmen.
Arbeitskräftemangel, wichtige Rohstoffe: Wie kann Afrika helfen?
Diese strategischen Themen Deutschlands sind kein Geheimnis: Mangel an Arbeitskräften, fehlende Kontrolle über die Lieferketten oder der sichere Zugang zu wichtigen vorverarbeiteten Rohstoffen.
Deutschland braucht Menschen. Derzeit gibt es zwei Millionen offene Stellen. 53 Prozent der deutschen Unternehmen haben offene Stellen, die sie nicht besetzen können. Das ist ein riesiges Problem für ein Land, dessen wirtschaftliche Stärke auf seiner Industrie beruht. Derzeit gibt es ungeschickte Versuche, Arbeitskräfte aus anderen Teilen der Welt anzuwerben, auch aus afrikanischen Ländern. Die Annahme, dass qualifizierte Afrikaner nach Deutschland einwandern würden, entspricht nicht der Realität. Eine aktuelle OECD-Studie zeigt, dass Deutschland nicht zu den zehn attraktivsten Ländern für Arbeitsmigration gehört. Diese Tatsache wurde dem deutschen Finanzminister Christian Lindner an der Universität von Ghanadeutlich vor Augen geführt, als zu seiner Überraschung nur eine winzige Anzahl von Studenten angab, eine Arbeit in Deutschland in Betracht zu ziehen. Da erwarte ich eigentlich, dass eine Strategie zur Anwerbung von Arbeitskräften aus dem demographisch jüngsten Kontinent der Welt ganz oben auf der Tagesordnung steht.
Der Zugang zu wichtigen verarbeiteten Rohstoffen ist für ein Land, dessen Industrie dringend auf sie angewiesen ist, von ebenso großer Bedeutung wie die starke Abhängigkeit seiner Lieferketten in Kernbranchen. Wir sollten im Hinterkopf haben, dass nur wenige Firmen in Deutschland oder Europa Solarzellen, Windturbinen oder Mikrochips herstellen. Es sieht nicht danach aus, dass diese Industrien in absehbarer Zeit nach Deutschland zurückkehren. Bei den verarbeiteten Mineralien ist die übermäßige Abhängigkeit Deutschlands und Europas von nur wenigen Quellen im Ausland gut dokumentiert. Einigen Schätzungen zufolge ist Deutschland bei 21 von 27 wichtigen Rohstoffen auf ausländische Lieferungen angewiesen. Geopolitische Bedenken führen dazu, dass Nearshoring zu einer tragfähigen Strategie wird. Viele afrikanische Länder verfügen über diese kritischen Rohstoffe und wollen durch deren Abbau, Verarbeitung und Export ihre Industrialisierung vorantreiben. Es ist nicht schwer, sich eine deutsche Rohstoffstrategie vorzustellen, die langfristig in Afrika als Verarbeiter von produktionskritischen Grundstoffen investiert. Das Gleiche gilt für eine deutsche Photovoltaik-Strategie, die der Verarbeitung von Polysilizium und der Herstellung von Solarzellen in Afrika Priorität einräumt.
Schließlich gibt es noch die Frage nach der Energieversorgung. Deutschland hat die Abhängigkeit von Russland durch die Abhängigkeit von anderen Gaslieferländern wie Norwegen ersetzt und ein 15-Jahres-Abkommen mit Katar unterzeichnet. Doch Senegal und Nigeria, zwei Länder, die sich von Deutschland Investitionen im Gassektor erhoffen, werden wenig bis gar nicht berücksichtigt. Auch im digitalen Sektor muss Deutschland sicherstellen, dass es nicht zum Opfer des technologisch-geopolitischen Wettlaufs zwischen den USA und China wird. Die Entwicklung einer Strategie, die die besondere Position und die Prioritäten der afrikanischen Länder in Betracht zieht, sollte ganz oben auf der Agenda stehen.
Die Strategie des BMZ entspricht dem Auftrag des Ministeriums. Eine zukunftsweisende Strategie der Entwicklungszusammenarbeit muss respektvoll und nicht herablassend sein. Die neue Strategie schafft beides und schlägt einen progressiven Ton an. Sie repräsentiert jedoch nur eine Facette der deutschen Außenpolitik und als solches muss sie auch wahrgenommen werden. Leider wird sie jedoch als Konzept der gesamten Bundesregierung interpretiert, weil es in Deutschland keine umfassende, übergreifende Afrikastrategie gibt. Die Regierung Scholz sollte gewarnt sein, dass die Welt und insbesondere die afrikanischen Länder dies als eine reduktionistische und einseitige Haltung gegenüber dem Kontinent wahrnehmen könnten.
Dr. Olumide Abimbola ist Geschäftsführer des APRI - Africa Policy Research Institute, einer in Berlin ansässigen Denkfabrik. Zuvor arbeitete er bei der Afrikanischen Entwicklungsbank zu den Themen Handel und regionale Integration, sowie bei der GIZ zur Rohstoff-Governance." APRI und die Robert Bosch Stiftung arbeiten im Rahmen einer strategischen Partnerschaft zusammen.
Quarterly Perspectives
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