Im Nahen Osten werden die Karten neu gemischt
Die Nah-Ost-Politik der Biden-Regierung wird sich in vielen Punkten signifikant von der Trumps unterscheiden. Viele Akteure in der Region werden Bidens Rückkehr zum Multilateralismus und sein Bekenntnis zu Institutionen und Menschenrechten begrüßen – aber nicht alle. Die autoritären Regime im Nahen Osten haben sich gut mit der Trump-Administration verstanden. Sie werden sie vermissen.
Von Galip Dalay
Im Nahen Osten sind die Vorbereitungen auf die Präsidentschaft Joe Bidens in vollem Gange. Saudi-Arabien ist dabei, seine Beziehungen zu Katar wieder zu normalisieren, um die Spannungen zwischen den Golfstaaten zu verringern. Israel hat allem Anschein nach den wichtigsten Atomwissenschaftler des Iran getötet, um das Zeitfenster für internationale diplomatische Verhandlungen über das iranische Nuklearprogramm zu schließen und um Fortschritte in den Beziehungen zwischen dem Iran und dem Westen zu verhindern. Das bringt den Iran in eine schwierige Zwickmühle. Wenn das Land auf die Tötung nicht reagiert, verliert es an Reputation. Und wenn der Iran reagiert, torpediert das die Bemühungen der Biden-Regierung, wieder Teil der Nuklearvereinbarung zu werden. Währenddessen sendet der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan widersprüchliche Signale. Vor kurzem hat er Reformen versprochen, sein tatsächliches Handeln steht dazu aber in starkem Kontrast. Trotzdem wird auch Erdoğan wahrscheinlich seine Politik an die neue Realität in Washington anpassen.
Anpassungen an die Präsidentschaft Bidens
Im Nahen Osten bleiben die USA ein unverzichtbarer Akteur für die regionale Sicherheitsordnung, auch wenn die Beziehungen der Region zu internationalen Mächten einen zunehmend multipolaren Charakter haben. Das gilt zum Beispiel für die Beziehungen zu Russland in Sicherheitsfragen und für die Beziehungen zu China in Wirtschaftsfragen. Aber Amerika ist mehr als ein primus inter pares. Die USA haben die Politik im Nahen Osten seit der Suezkrise von 1956 geprägt und sogar die Rolle des Hegemons übernommen.
Das Handeln, aber auch das Nichthandeln der USA sind für die Region sehr wichtig. Manchmal ist es sogar von größerer Bedeutung, wenn sie nichts unternehmen, wie die Entwicklung der Syrienkrise zeigt. Der Platz, den die USA einnehmen, oder das Vakuum, das sie hinterlassen, kann die Politik in der Region nachhaltig prägen. Deshalb werden die Akteure im Nahen Osten ihre Außenpolitik, die sie zuvor an Trumps Weltsicht angepasst hatten, jetzt neu an der Biden-Präsidentschaft ausrichten. Doch unterscheiden sich die Politiker Trump und Biden wirklich so stark voneinander, wenn es um ihre außenpolitische Vision geht, besonders im Nahen Osten?
Rückzugspolitik, Unvorhersagbarkeit, die wichtige Rolle von persönlichen Beziehungen und ein Mangel an Diplomatie – all das kennzeichnete unter Trump die US-Politik in der Region. Aber Trump war nicht der erste Präsident, der im Nahen Osten so agierte. Und obwohl sich Trump als außenpolitisches Gegenbild zu Barack Obama präsentierte, wandelte er mit seinem Hang, die politische und militärische Präsenz in der Region zu verringern, auf Obamas Spuren. Der Unterschied war, dass Trump sich dabei ungeschickt anstellte.
Trump: Jeder kämpft für sich allein
Die USA verfügen immer noch über beachtliche militärische Kapazitäten und diplomatische Netzwerke in der Region. Sie haben deshalb immer noch die Vorherrschaft über andere Akteure. Unter Trump haben die USA dennoch weniger Verantwortung in der Region übernommen und ihr diplomatisches Engagement und ihre Initiativen heruntergefahren. Trumps Botschaft war, dass jedes Land nur seine eigenen Interessen verfolgt, und sein Motto lautete: „Wer die Macht hat, hat Recht“. Das beschleunigte den Verfall der internationalen Institutionen, Normen und Prinzipien.
Viele Regionalmächte haben sich dieser Trumpschen Welt angepasst. Ein Beispiel: Die Blockade Katars durch die Arabischen Golfstaaten hätte nicht stattgefunden, wenn Trump kein grünes Licht gegeben hätte. Das geringere Engagement der USA, gepaart mit Trumps Herangehensweise an internationale Angelegenheiten, führte zu einem Gerangel der regionalen Akteure um mehr Einfluss und Macht im Nahen Osten und Nordafrika. Mit anderen Worten: Trump hat nicht nur der Achtung der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte in der Innenpolitik der Nah-Ost-Staaten wenig Beachtung geschenkt, er hat auch in seiner eigenen Politik wenig Respekt für die innerhalb der Region vorherrschenden Regeln, Normen und Institutionen an den Tag gelegt.
Auch wurde in der Region, in der Macht stark an die handelnden Personen gebunden ist, Trumps Neigung zur Personalisierung der US-Beziehungen von vielen positiv aufgenommen: Vom Ägypter Abdel Fattah el-Sisi, über Mohammed bin Zayed aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), bis hin zu Saudi-Arabiens Mohammed Bin Salman und Präsident Erdoğan in der Türkei haben viele führende Politiker der Region ihre persönliche Beziehung zu Trump gepflegt und diesen direkten Weg genutzt, um institutionalisierte politische Mechanismen in den USA zu umgehen.
Auf der regionalen Ebene hat Trump eine dezidiert anti-iranische Politik verfolgt, die die arabischen Golfstaaten und Israel favorisiert. Dabei setzte er auf eine harte Eindämmungspolitik, die den Iran extrem unter Druck setzte und verzichtete nur auf den Krieg als letztes Mittel. Trump versuchte gar nicht erst, das Verhalten des Iran oder die iranische Politik zu verändern, sondern zielte auf die Ablösung des Regimes. Dieser Linie folgend entwickelte er die Vision einer regionalen Ordnung mit den arabischen Golfstaaten, Ägypten und Israel im Zentrum. Diese regionale Neuordnung wurde durch eine gegen den Iran, gegen die Türkei und gegen den politischen Islam gerichtete Grundstimmung angetrieben. Außerdem richtete sich diese Neuordnung eindeutig gegen den „Arabischen Frühling“ und den regionalen Wandel, den er mit sich brachte. Während die Angst der arabischen Staaten vor dem Arabischen Frühling in der Unsicherheit und Illegitimität der Regime begründet ist, positioniert sich Israel gegen dieses politische Phänomen, weil es glaubt, dass der Erfolg der „Frühlings-Bewegungen“ zu einem neuen regionalen Machtgefüge führen könnte, in dem Israels Rolle eingeschränkt wäre.
Offensichtlich spüren einige dieser Länder, wie Israel und die VAE, geringere Notwendigkeit, ihre Außenpolitik neu auszurichten. Es ist unwahrscheinlich, dass Joe Biden den Umzug der US-Botschaft nach Jerusalem oder das „Abraham-Abkommen“ zurücknimmt, das Israels Beziehungen mit den VAE und Bahrain formalisiert, ohne auf die Palästinenser Bezug zu nehmen. Vielleicht wird die Normalisierung der Beziehungen zu Israel die VAE vor einigen Problemen schützen, die Saudi-Arabien in seinem Verhältnis zu den USA erwarten kann.
Obamas Vision mit der Welt Trumps in Einklang bringen
So, wie sich Trump gerne als Anti-Obama darstellte, wird Biden schon jetzt zum Anti-Trump stilisiert – sowohl in der Innen- als auch in der Außenpolitik. In den internationalen Beziehungen sendet er die Botschaft, dass er die Verbindungen zu den Verbündeten und den multilateralen Institutionen wieder stärken, Demokratie und Menschenrechte fördern, die Diplomatie wiederbeleben und die Vorhersehbarkeit der US-Außenpolitik wiederherstellen werde. Wenn Biden das umsetzt, werden wir dann eine dramatisch veränderte US-Politik im Nahen Osten sehen?
Joe Biden wird sicherlich mehr Vorhersehbarkeit, ein stärkeres Bekenntnis zu Institutionen und größeres diplomatisches Engagement in seiner Nah-Ost-Politik zeigen. Er wird voraussichtlich die Sprache der Menschenrechte, der Good Governance und der Demokratisierung sprechen, aber keine Politik der regionalen Neuordnung verfolgen. Das Engagement der USA in der Region wird er nicht wesentlich verstärken. Der amerikanische Rückzug hat unter der Obama-Regierung begonnen, Biden wird ihn nicht rückgängig machen. Der strategische Stellenwert des Nahen Ostens für die USA nimmt ab. Daran ändert die Präsidentschaft Bidens nichts.
In ihrer Politik gegenüber dem Iran und Russland gibt es starke Unterschiede zwischen Biden und Trump. Trump war auf den Iran fixiert und hat keine ernsthaft gegen Russland gerichtete Politik im Nahen Osten verfolgt. Im Gegensatz dazu wird Biden eher danach streben, eine diplomatische Lösung im Atomstreit zu finden. Dabei werden Bidens Angebote an den Iran auch die Interessen der arabischen Golfstaaten berücksichtigen. Während sich Obama um deren Sorgen nur wenig gekümmert hat, wird Biden ihnen wahrscheinlich entgegenkommen. Darüber hinaus wird Biden eine stärkere Anti-Russland-Politik in der Region betreiben. Das heißt aber nicht, dass die USA zum Thema Syrien keine Verständigung mit Russland erreichen wollen.
Zu guter Letzt steht die Türkeipolitik vor einer Veränderung. In der Trump-Ära hat Erdoğan enge persönliche Beziehungen zum US-Präsidenten geknüpft, die die Türkei in vielen Fällen vor dem Zorn der politischen Institutionen in den USA geschützt haben. Die Differenzen zwischen Europa und Amerika sowie zwischen Trump und den US-Institutionen haben den Bewegungsspielraum der Türkei vergrößert. Das wird sich ändern und unter Umständen zu Spannungen in den amerikanisch-türkischen Beziehungen führen.
Hinzu kommt, dass vier Themen die Beziehungen von Anfang an auf die Probe stellen werden: der Kauf von russischen S-400-Raketensystemen durch die Türkei, die Kurden in Syrien, die Krise im östlichen Mittelmeer und Bidens Haltung zu innenpolitischen Entwicklungen in der Türkei. Wenn Ankara seine Politik nicht stark verändert und den Weg für ein stärkeres Engagement beider Seiten und anderer Länder in der Schwarzmeer-Region und in Syrien frei macht, werden sich die Beziehungen zwischen der Türkei und den USA sowie anderen westlichen Ländern noch weiter verschlechtern.
Die Biden-Regierung wird den US-Fußabdruck im Nahen Osten nicht vergrößern. Aber andere politische Inhalte, Strategien, mehr Diplomatie und ein anderer Stil werden neues Gewicht haben. Die neue Regierung wird begreifen müssen, dass der Nahe Osten gerade eine massive Neustrukturierung durchmacht, in der die Beziehungen der Region zu internationalen Mächten multipolarer geworden sind und regionale Mächte an Bedeutung gewonnen haben. Die Biden-Administration wird diese Faktoren in ihrer Politik im Nahen Osten und in Nordafrika berücksichtigen müssen.
Galip Dalay ist ein Think-Tanker, der sich auf die Politik des Nahen und Mittleren Ostens sowie der Türkei spezialisiert hat, und Richard von Weizsäcker Fellow der Robert Bosch Academy.
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