Vorgestellt: María Fernanda Espinosa
María Fernanda Espinosa ist eine Diplomatin, Politikerin und Wissenschaftlerin aus Ecuador. Sie war Präsidentin der 73. Sitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen (2018/19) sowie ecuadorianische Außenministerin, Ministerin für das Kultur- und Naturerbe und Verteidigungsministerin.
Woran werden Sie als Fellow an der Robert Bosch Academy arbeiten?
Ich werde mich mit der Notwendigkeit einer starken und effektiven Global Governance befassen, um aktuelle globale Herausforderungen wie die Gesundheits- und Klimakrise sowie das Problem der sozialen Ungleichheit anzugehen. Außerdem möchte ich die Schlüsselrolle, die Unzulänglichkeiten und die Potenziale multilateraler Institutionen untersuchen. Ich werde mit verschiedenen Koalitionen und Netzwerken aus der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, um Vorschläge für eine dringend benötigte Wiederbelebung der Vereinten Nationen zu erarbeiten. Dabei werde ich mich auf meine derzeitige Position als Co-Vorsitzende der Coalition for the UN We Need (ehemals UN2020) stützen, die sich aus Vertretern der Zivilgesellschaft, der akademischen Welt und gemeinnütziger Organisationen aus allen Regionen der Welt zusammensetzt.
Außerdem werde ich den Multilateralismus unter dem Gesichtspunkt der Gleichstellung der Geschlechter analysieren, um sicherzustellen, dass die Rechte und die Stärkung der Rolle von Frauen und Mädchen weltweit in die Bemühungen um eine Neugestaltung der Vereinten Nationen einbezogen werden.
Was sind die wichtigsten Themen in Ihrem Bereich?
Die Feierlichkeiten zum 75. Jahrestag der Gründung der Vereinten Nationen haben eine weltweite Diskussion über die Zukunft der Organisation und die notwendige Anpassung ihrer derzeitigen Struktur und Arbeitsmethoden ausgelöst, damit die UN auf die aktuellen globalen Herausforderungen reagieren können. Die Jubiläumsfeierlichkeiten mündeten in einem zwischenstaatlichen Prozess, der mit der starken und umfassenden Politischen Erklärung UN75 endete, die zwölf Aktionspunkte zu den dringendsten internationalen Themen enthält. Dazu gehören:
- Niemanden bei den Anstrengungen zurückzulassen, die Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen,
- unseren Planeten zu schützen und die Klimakrise zu bewältigen,
- friedliche Gesellschaften aufzubauen,
- die digitale Integration zu fördern
- und Frauen, Mädchen und Jugendliche in den Mittelpunkt der Bemühungen um den Wiederaufbau nach Covid-19 zu stellen,
um nur einige der globalen Bedrohungen für die Sicherheit der Menschen und des Planeten zu nennen. In der Erklärung wird der UN-Generalsekretär beauftragt, einen Bericht zu erstellen, um „unsere gemeinsame Agenda“ voranzubringen und auf die aktuellen vielfältigen und miteinander verknüpften Krisen zu reagieren – und zwar noch vor Ende der 75. Sitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Der Bericht wurde am 10. September 2021 vorgelegt und erfordert ein starkes Engagement der Staaten für die Folgemaßnahmen und die aktive Beteiligung der Zivilgesellschaft.
Darüber hinaus gibt es eine lebhafte globale Diskussion unter dem Motto „Build Forward Better“, während sich die Welt von der Covid-19-Pandemie erholt. Diskussionen auf allen Ebenen und von verschiedenen Akteuren sind entscheidend für die Zukunft der Menschheit. Dabei geht es u. a. um die Frage, wie die Wirtschaft angekurbelt und gleichzeitig ein umweltfreundlicher und integrativer Aufschwung durch einen echten ökologischen Übergang gewährleistet werden kann, der die erschütternden Ungleichheiten verringert. Die Staats- und Regierungschefs der Welt diskutieren über die Notwendigkeit eines neuen Gesellschaftsvertrags und rufen dazu auf, diese Chance zum Aufbau einer neuen ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Ordnung zu ergreifen.
Wir befinden uns also in einer Phase der Neuerfindung und der Kreativität, die auch eine neue internationale Architektur und eine Erneuerung der Vereinten Nationen erfordert, um auf die verworrenen globalen Szenarien unserer Zeit wirksam reagieren zu können.
Wie hat die Covid-19-Pandemie die multilateralen Maßnahmen und Institutionen auf die Probe gestellt und geprägt?
Die Covid-19-Pandemie war ein Lackmustest für das multilaterale System. Sie hat gezeigt, dass konzertierte Aktionen, Zusammenarbeit und Solidarität auf regionaler und globaler Ebene der einzige Weg sind, um auf eine weltweite Gesundheitskrise zu reagieren. Sie hat auch die unersetzliche Rolle der Vereinten Nationen bei der Bereitstellung humanitärer Hilfe sowie von Ressourcen, Protokollen und politischen Leitlinien zur Bewältigung der Auswirkungen der Pandemie bestätigt.
Covid-19 fungierte zudem als eine Art Brennglas, das die Defizite und Schwächen der bestehenden multilateralen Vereinbarungen aufgezeigt hat. Zu diesen Schwächen gehören die unzureichenden Kapazitäten zur Mobilisierung von Ressourcen und die mangelnde Schnelligkeit, um auf eine Notsituation mit einer systemweiten Strategie reagieren zu können. Es gibt auch zu wenige multilaterale Banken und Handelsorganisationen, keine ausreichenden Finanzmittel zu flexiblen Bedingungen für Entwicklungsländer und keine angemessenen Versorgungsketten und Beschaffungsmöglichkeiten für wichtige medizinische Ausrüstung, Medikamente und neuerdings auch Impfstoffe. Hinzu kommt das Fehlen klarer und vorhersehbarer Einsatz- und Verhaltensregeln für den Privatsektor, lokale Behörden und die Zivilgesellschaft. Die gute Nachricht lautet: Jetzt haben wir die Chance, die multilaterale Architektur zu überdenken, neu aufzubauen und zu verbessern, indem wir aus der Covid-19-Pandemie lernen.
Welche Erkenntnisse für Ihre Arbeit erhoffen Sie sich von Ihrem Fellowship?
Ich möchte von der Arbeit und den Erfahrungen anderer Richard von Weizsäcker Fellows der Robert Bosch Academy profitieren. Außerdem möchte ich das Engagement Deutschlands für die Wahrung der Grundsätze der internationalen Solidarität und Zusammenarbeit in seiner Führungsrolle in der Allianz für Multilateralismus genau verfolgen. Ich erwarte auch den Austausch mit verschiedenen deutschen Akteuren und Meinungsführern – darunter Wissenschaftler, Politiker, Mitglieder der Zivilgesellschaft, deutsche Stiftungen und öffentliche Organisationen, die sich mit Fragen der Global Governance im Zusammenhang mit dem Klimawandel und der Umweltkrise, der Gleichstellung der Geschlechter und der institutionellen Neugestaltung der internationalen Architektur befassen.
Was macht Berlin und Deutschland so relevant für Ihre Arbeit?
Deutschland ist aufgrund seiner herausragenden Rolle in der EU und als Mitglied der G20 und G7 ein wichtiger Akteur in der aktuellen Geopolitik. Es übernimmt eine starke Führungsrolle bei der Klimastabilisierung und ist eine starke Stimme bei der Verteidigung einer auf Regeln basierenden internationalen Ordnung. Deutschland glaubt an die Bedeutung internationaler Kooperation und globaler Führungsstärke bei der Bewältigung der wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit.
Darüber hinaus hat Deutschland eine entscheidende Rolle bei den Bemühungen um einen echten grünen und integrativen Aufschwung im Rahmen der Covid-19-Pandemie gespielt und sich nachdrücklich für größere Investitionen in eine echte ökologischen Transformation eingesetzt, um die im Pariser Abkommen enthaltenen Klimaverpflichtungen zu erfüllen.
Aktuell durchläuft Deutschland einen sehr interessanten politischen Wandel, den ich wegen seiner Auswirkungen auf die internationale Politik und die Zukunft des multilateralen Systems sehr aufmerksam verfolgen möchte.
Außerdem interessiere ich mich für die reiche Geschichte Berlins. Berlin ist nicht nur die Hauptstadt Deutschlands, sondern auch das Zentrum der gesellschaftlichen und politischen Debatte. Es ist eine einzigartige, kulturell pulsierende Stadt. Sie bietet eine unglaubliche Vielfalt an kulturellen Highlights und Begegnungsmöglichkeiten. Als Kulturmetropole verfügt sie über eine große Vielfalt an Museen und Kunstgalerien. Ich freue mich sehr darauf, in Berlin zu leben.
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