Was wir von den USA für die Wahlen in Deutschland lernen können

Dezember 2024

Bundestagswahlkampf unter erschwerten Bedingungen.

von Laura-Kristine Krause

Laura - QP Q4 2024

Es gibt nur wenige Anlässe, in denen eine Gesellschaft mit sich selbst verhandelt, was ihr wichtig ist oder wie die Zukunft im Land aussehen soll. Wahlkämpfe gehören in der Regel zu diesen seltenen Momenten. Das Jahr 2024 war von zahlreichen wichtigen Wahlen weltweit gezeichnet und die Bundestagswahl 2025 folgt aufgrund des Auseinanderbrechens der deutschen Bundesregierung nun deutlich schneller als gedacht. Für das Verhandeln der eigenen Zukunft bleibt deutlich weniger Zeit als gedacht.

Seit August konnte ich den US-Präsidentschaftswahlkampf direkt in den USA verfolgen. Die gesellschaftlichen Dynamiken, die sich dort gezeigt haben und die den Erfolg des Modells Trump befeuert haben, wirken längst auch in anderen westlichen Demokratien. Sie begegnen mir auch ständig in unserer Arbeit bei More in Common. Diese Dynamiken werden auch in Deutschland darüber mitentscheiden, wie stark bei den Bundestagswahlen im Februar antidemokratische Populisten abschneiden werden und wie groß der Spielraum für das Formen von Koalitionen im demokratischen Spektrum ist.

Bei More in Common untersuchen wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland. Wir beschäftigen wir uns mit der Frage, wer gesellschaftlich gut eingebunden ist, wer unsichtbar bleibt und wie diese Menschen erreicht werden. Dafür ist es wichtig, das Tempo gesellschaftlichen Wandels und die sich verändernden Wünsche verschiedener sozialer Gruppen im Blick zu behalten. Auch in den USA brachten neue oder zugespitzte gesellschaftliche Konflikte die vermeintlichen Gewissheiten über Wählergruppen ins Wanken. Die Nachkommen von Einwander:innen zählten zum Beispiel bisher zur Kernwählerschaft der US-Demokraten. Männliche Latinos stimmten aber bei dieser Wahl mehrheitlich für Trump, obwohl er sich herablassend und diskriminierend über sie geäußert hatte. Wie auch über arabische und muslimische Menschen, deren Wahlentscheidung zudem durch den Konflikt im Nahen Osten beeinflusst war. Doch Trumps Kampagne wandte sich mit gezielten Botschaften an genau diese Wählergruppen. Der amerikanischen Arbeiterklasse galt Joe Biden noch vor vier Jahren – inmitten der Corona-Pandemie – als Garant einer besseren Zukunft. Jetzt konnte Donald Trump die herrschende Inflation für sich nutzen und die Stimmen der Arbeiterklasse mit ähnlichem Abstand wie sein Vorgänger gewinnen.

Deutsche Parteien müssen aufpassen, dass sie nicht bloß die schrumpfende Gruppe an Mitgliedern oder Stammwähler:innen adressieren, sondern tun gut daran ebenfalls strategisch neue Wählergruppen erschließen und auch Menschen mit Migrationshintergrund stärker und differenziert in den Blick zu nehmen. Antidemokratische Kräfte tun dies bereits: Die AfD sprach zur Europawahl 2024 auf TikTok junge Deutsch-Türken mit türkischsprachigem Content direkt an.

Gesellschaftsdynamisch wurde die erneute Wahl von Donald Trump durch zwei Elemente getragen, die sich auch in Deutschland wiederfinden: Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Situation und ein tiefer Wunsch nach Veränderung, auch im politischen System selbst. Wem in Wirtschaftsfragen am meisten zugetraut wird und wem es gelingt, sich überzeugend als Veränderung zu positionieren, dürften auch hier viele Wählerstimmen gewiss sein. Trump gelang es wie schon 2016 die emotionale Verfassung seiner Basis aufzugreifen und den Menschen ein Versprechen für die Zukunft zu machen. Und: Sogar als gealterter Ex-Präsident gelang es ihm, sich als der Wandel zu positionieren. Seine Kontrahentin Kamala Harris verkörperte hingegen den Status Quo, vor allem, weil sie sich nicht ausreichend vom Amtsinhaber Joe Biden abgegrenzt hatte.

In Deutschland verfolgen AfD und BSW eine ähnliche Strategie, wenn sie sich als einzige Alternative zu den vermeintlich gleichförmigen etablierten Parteien darstellen, obwohl das deutsche Parteienspektrum inhaltlich breit gefächert ist. Auch die FDP versuchte als Opposition in der Regierung eine ähnliche Strategie. Ob sie aufgeht, wird sich am 23. Februar zeigen.

Populistische Akteure links wie rechts arbeiten aktuell aktiv daran das Vertrauen in „die Politik“, den Staat und den Standort Deutschland zu zerstören, weil sie selbst politisch exakt von diesem Misstrauen leben. Dabei wäre die gesellschaftliche Hauptaufgabe im Gegenteil die Stärkung von Vertrauen. Denn gesellschaftlicher Zusammenhalt ist auf zwei Vertrauensebenen angewiesen: das Vertrauen der Menschen in die Demokratie und das Vertrauen der Menschen untereinander. Ist Vertrauen erst einmal angegriffen, lässt es sich nur sehr schwer reparieren.

In diesem gesellschaftlichen Klima ist die Gleichzeitigkeit von politischem Wettbewerb und Vertrauenswahrung für die demokratischen Parteien ein schwieriger Balanceakt. Dass seit Verkünden des Wahltermins hauptsächlich taktische Fragen (Wahltermin, Ursachen des Zerfalls der Regierung etc.) im Fokus stehen und nicht inhaltliche, dürfte bei dem wichtigen Ziel das Vertrauen in die politische Gestaltungsfähigkeit der Parteien wiedergewinnen nicht unbedingt geholfen haben.

Auch die aktive Begleitung des Wahlkampfes durch zivilgesellschaftliche Akteure ist durch den deutlich vorgezogenen Wahltermin erschwert. Denn sie machen zwar keinen Wahlkampf aber haben durch Eingaben für Wahlprogramme, Beteiligungsprozesse, Analyse von Programmen, Wahlomaten, Kampagnen und Informationsmaterialien eine wichtige gesellschaftliche Rolle in dieser Phase. All das wäre allein deshalb schon wichtig, weil es bei der Bundestagswahl 2025 auch eine massive Desinformationskampagne aus dem Ausland abzuwehren geben wird, die dem Vertrauen in die Demokratie weiter Schaden zufügen kann.

Dass es auch beim Vertrauen zwischen den Menschen viel zu tun gibt wird mir von dieser US-Wahl am stärksten in Erinnerung bleiben. Ich habe die amerikanische Gesellschaft nicht nur als gespalten, sondern als oft sprachlos empfunden. Menschen haben keine Wahlkampfschilder aufgestellt, weil sie das Gespräch mit den Nachbarn scheuen. Familien, Kolleg:innen, Freunde besprechen keine politischen Themen mehr. Das trennt nicht nur Lebenswelten, sondern verhindert auch, dass man „die anderen“ zuallererst als Menschen wahrnimmt. Ähnliches droht in Deutschland, wenn es nicht gelingt, Begegnungen über soziale Trennlinien hinweg zu organisieren, gesellschaftliche Sichtbarkeit zu fördern und gemeinsame Informationsräume zu sichern. Dafür muss die Politik die Rahmenbedingungen schaffen: zum Beispiel durch eine robuste Sicherung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, anders als aktuell von den Ländern geplant, die zum Beispiel vorsehen, die Möglichkeiten der öffentlich-rechtlichen Sender, mit ihrem Publikum (und den zahlenden Beitragszahler:innen) online und in sozialen Medien zu kommunizieren, erheblich einzuschränken, obwohl viele Menschen dort heutzutage erreicht werden können. Und: Die Politiker:innen müssen selbst Vorbild sein. Wer den politischen Gegner entmenschlicht und sich nur auf taktische Spielchen zurückzieht, schwächt selbst die demokratische Kultur. Anders als die USA haben wir davon noch einiges, was intakt ist. Die vorgezogenen Bundestagswahlen 2025 geben uns die Möglichkeit zu zeigen, dass wir bereit sind das zu schützen.

Laura-Kristine Krause ist Gründungsgeschäftsführerin von More in Common Deutschland. Als ‘24 Yale World Fellow war sie während der US-Wahlen im Herbst 2024 vor Ort.

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